Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer braucht denn schon Liebe

Wer braucht denn schon Liebe

Titel: Wer braucht denn schon Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marte Cormann
Vom Netzwerk:
dagegen, wenn ich mir dafür einen Tag Urlaub nehme.« Mit dem charmantesten Lächeln, das sie unter den gegebenen Umständen aufbringen konnte, nickte sie Kesselbaum zum Abschied zu, bevor sie mit hocherhobenem Kopf an dem grinsenden Ackermann vorbei zur Tür hinausstöckelte.
    »Aber gleich Montag früh unterhalten wir uns noch mal über die Personalzahlen«, rief Kesselbaum ihr hinterher, bestrebt, das letzte Wort zu behalten.
    Worauf Sie sich verlassen können, grollte Karen, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen.
    »… und weißt du noch, wie ich in dem kleinen Zimmer neben dem Kühlraum immer meine Hausaufgaben gemacht habe? Irgendwie rochen meine Hefte damals immer nach frisch Geschlachtetem, was ich mir vermutlich nur eingebildet habe. Aber heute Morgen bei Brodes in der Wurstfabrik stieg mir sofort wieder dieser ganz besondere Geruch nach Blut und totem Fleisch in die Nase.« Mit der Gabel spießte Karen die letzten drei Bratkartoffeln auf ihrem Teller auf, um damit genussvoll das flüssige Gelb ihres Spiegeleies aufzusaugen. Niemand verstand sich so gut aufs Bratkartoffelmachen wie ihre Großmutter.
    Stirnrunzelnd klappte Oma Käthe das Bunte Blatt zu, ihr Leib- und Magenblatt zum Thema Herz und Schmerz in Königshäusern. »Ohne de Arbeit in de Fleischerei hätt das Geld nicht für die Miete gelangt. Von dem bisschen Witwenrente kriegt man ja kein Kind groß, und du warst ja schließlich nicht das erste.«
    »Mmmh.« Karen beschloss, den schmerzhaften Stich in der Herzgegend, der sich wie aufs Stichwort einstellte, zu ignorieren und das Thema zu wechseln. »Wenn ich bloß wüsste, was Kevin im Schilde führt.«
    »Wegen der Reise? Na, er wird dich heiraten wollen«, vermutete ihre Großmutter im Brustton tiefster Überzeugung.
    Karens Hand, die gerade den Zucker in einem Becher mit heißer Zitrone verrührte, stockte so abrupt, dass die Flüssigkeit über den Rand schwappte. Ihre Großmutter bemerkte es zum Glück nicht, weil sie nun wie gebannt auf den Fernsehschirm starrte, um den Beginn der Tagesschau nicht zu verpassen.
    »Aber das wäre ja entsetzlich!« Hastig wischte Karen die kleine Pfütze mit dem Ärmel ihres flauschigen Frotteebademantels vom Tisch. Eingemummelt in ihren vom vielen Tragen schon reichlich verwaschenen Flanellpyjama mit dem Schlumpfmuster hockte sie mit angezogenen Beinen ihrer Großmutter gegenüber im Sessel neben dem Fenster. Um den Hals trug sie einen Wollschal, an den Füßen dicke Schafswollsocken. Niemand, der nicht gelegentlich aus dem Fenster schaute, wäre bei ihrem Anblick auf den Gedanken gekommen, dass draußen noch immer zweiundzwanzig Grad herrschten.
    Oma Käthe, wie Karen sie liebevoll nannte, biss ungerührt in ihr Schinkenbrot, bei dem die Butter an den Seiten hervorquoll. »Was ist so schlimm daran, geheiratet zu werden?«, fragte sie.
    »So ziemlich alles«, entgegnete ihre Enkelin düster.
    »Unsinn, Kind. Als ich so alt war wie du, war deine Mutter schon fast drei.«
    »Und als sie so alt war wie ich, ging sie mit einem schwarzhaarigen Italiener nur rasch Zigaretten holen und kehrte nie wieder zurück. Auf den Lutscher, den sie mir damals versprochen hatte, warte ich heute noch.« Die Bitterkeit in Karens Stimme, die jedes Mal aufkam, wenn sie darüber sprach, war nicht zu überhören.
    Plötzlich zitterte die Hand mit dem Schinkenbrot so heftig, dass Großmutter Käthe es einfach zurück auf den Teller fallen ließ.
    »Denk nicht, deine Mutter hat dich nicht geliebt«, murmelte sie leise. Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Ihr von tiefen Runzeln durchfurchtes Gesicht wirkte grau und eingefallen.
    Die beiden Frauen versanken in nachdenkliches Schweigen. Eigentlich vermieden sie es, über Karens Mutter zu reden. Das Thema ging ihnen viel zu nahe, um nicht jedes Mal aufs Neue davon berührt zu werden. Mit einem Räuspern fasste Karen sich als Erste.
    »Ich glaube, Oma, Liebe ist nichts für mich.«
    »Unsinn, Kind. Wenn der Richtige kommt, vergisst du das.«
    Karen zuckte mit den Achseln und nippte vorsichtig an ihrer Zitrone. »Wir haben uns. Das reicht mir.«
    »Dein Kevin ist doch ein netter solider Kerl …«
    »Ja, schon.«
    »… und als Immobilienmakler kann er dich auch noch ernähren, wenn Kinder da sind«, blieb Oma Käthe hartnäckig beim Thema.
    Zu hartnäckig für Karens Geschmack. Müde erhob sie sich, um ihren Teller in die Spülmaschine zu sortieren. Sie hatte ihrer Großmutter das gute Stück

Weitere Kostenlose Bücher