Wer braucht denn schon Liebe
Etagen tiefer die typischen Geräusche eines Restaurationsbetriebes hörte. Eine Tasse Cappuccino und ein kleiner Imbiss waren exakt das, was sie jetzt brauchte.
Schade, dass Kevin nicht da war, um mit ihr gemeinsam zu essen. Während sie sich den warmen Wasserstrahl aus der Dusche über den Körper fließen ließ, überlegte sie, wo er wohl stecken könnte. Sehr dunkel glaubte sie sich daran zu erinnern, dass er irgendwas von »Villa besichtigen« gemurmelt hatte, bevor ihr die Augen zufielen. Was ja auch eine gewisse Logik besaß. Immerhin war das ja der Anlass für ihren Wochenendtrip gewesen.
Eine halbe Stunde später vermisste sie Kevin noch mehr. Die kleine Caféterrasse war dicht besetzt. Ihr hatte man den einzig freien Tisch direkt neben der gläsernen Kuchentheke zugewiesen, mit der sie sich auch den Sonnenschirm teilen musste. Und weil Eistorten offensichtlich mehr Schatten als echte Rothaarige verdienten, dauerte es nicht lange, bis die Sonne ihr die Haut verbrannte.
Mit Kevin wäre ihr das bestimmt nicht passiert.
Mit ihm an ihrer Seite würde sie sich vielleicht auch nicht ganz so unvollständig wie im Augenblick fühlen. Wohin sie den Blick auch schweifen ließ: Pärchen, Pärchen, überall nur Pärchen! Pärchen, die sich schon lange nichts mehr zu sagen hatten. Pärchen, die es kaum abwarten konnten, wieder zurück in ihr Bett zu kommen. Sogar ein unverhohlen homosexuelles Paar konnte sie ausmachen. Nur sie war allein. Wenn sie von den Mutter-Tochter- und Freundinnenkombinationen einmal absah.
Karen schlürfte ihren Cappuccino, gabelte ihre alkoholgeschwängerte Biskuittorte und schenkte dem schmalgesichtigen, pickeligen Kellner, der sie bediente, ein kühles Lächeln.
»Kann ich bei Ihnen auch Sonnenmilch bekommen?«
»Prego?«
»Latte di Sole oder so ähnlich«, versuchte Karen ihm verständlich zu machen.
»Prego?«
»Sole mia verbrannte«, probierte Karen es erneut und kam sich dabei leider kein bisschen intelligent vor.
Meine Güte, der Mann ist doch an deutsche Gäste gewöhnt. Weshalb stellt er sich ausgerechnet bei mir so begriffsstutzig an?
»Latte. Lait du soleil. Sunmilk. Sonnenmilch. Für mich«, versuchte sie es noch einmal. Diesmal schenkte ihr der Jüngling unter eifrigem Kopfnicken ein strahlendes Lächeln, bevor er im Inneren des Restaurants verschwand.
Na also!
Als sie zehn Minuten später immer noch vergeblich wartete, gab sie die Hoffnung auf, ihn jemals wiederzusehen. Doch sie hatte es sich gerade mit den Kopien von Brodes’ Bilanzen auf dem Balkon ihres Zimmers bequem gemacht, als es an der Zimmertür klopfte.
Typisch Kevin, irgendwie schafft er es auch immer, ein bisschen zu stören.
Aufseufzend warf Karen die Unterlagen aufs Bett und lief barfuss zur Tür. Doch ihre Hand lag bereits auf der Türklinke, als sie zögerte. Was hatte Kevin vor ihrem Abflug zu ihr gesagt? Ein kleiner Kick würde ihnen beiden guttun? Vielleicht. Aber musste dafür gleich geheiratet werden? Hastig lockerte sie die obersten zwei Knöpfe ihrer Bluse, um den Blick einladend auf ihre prachtvollen Brüste freizugeben.
»Wie schön, dass du endlich da bist, mein Schatz. Ich habe dich ja schon sooo vermisst!«, flötete Karen, während sie mit Schwung die Tür aufriss. Dabei spitzte sie mit geschlossenen Augen möglichst sinnlich die Lippen, willig, von ihm aufs Bett geworfen zu werden. Eine halbe Stunde konnten die Bilanzen wirklich noch warten.
»Amore? Voulez-vous couchez avec moi? Do you want to sleep with me? Du wollen Liebe machen?«, erklang es ganz dicht vor ihrem Gesicht.
Augen weit aufreißen und die Tür zuschlagen wollen waren für Karen in diesem Moment eins. Entgeistert starrte sie den pickeligen Kellner an, der ein halbes Dutzend der bekanntesten Sonnenschutzmittel auf dem Arm trug.
»Nein!! Definitiv nein!!«, wehrte Karen energisch ab.
»Keine Panik! Das habe ich mir sowieso schon gedacht«, antwortete der Kellner in lupenreinem Hochdeutsch. »Musste bloß erst ins Dorf laufen, um die Sonnenmilch für Sie zu besorgen. Normalerweise gehört die nämlich nicht zu unserem Speisenangebot.« Da Karen keine Anstalten machte, ihm die Flaschen abzunehmen, trat er ein paar Schritte ins Zimmer, um sie auf dem einzigen Tisch zu deponieren.
»Sie sprechen ja Deutsch!«
Er grinste breit. »Luigi Galzone aus Essen, Gastarbeiterkind in dritter Generation. Zurzeit schreibe ich meine Diplomarbeit in Soziologie über das Urlaubsverhalten der Deutschen in Italien. Das Hotel meines
Weitere Kostenlose Bücher