Wer braucht denn schon Liebe
Onkels ist für mich der ideale Studienort.«
»Wie unfair!«
»Nicht so unfair, wie sich manche Urlauber ihren Gastgebern gegenüber benehmen. Anwesende natürlich ausgeschlossen«, grinste er breit.
Karen verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Sparen Sie sich Ihre Ironie. Ich komme mir auch so schon ziemlich blöd vor. Wie viel bin ich Ihnen schuldig?«, fragte sie mit Blick auf die Sonnenmilch.
»Suchen Sie sich eine Marke aus. Ich setze die dann auf die Zimmerrechnung.« Karen wollte schon die Tür hinter ihm schließen, als Luigi noch etwas einfiel. »Soll ich einen Tisch für Sie und Ihren Mann heute Abend auf der Terrasse decken?«
»Äh, ja, das wäre schön. Vorausgesetzt, der Tisch steht nicht gleich neben dem Buffet.«
»Wie Signora wünschen«, versprach Luigi und grinste schon wieder.
Luigi hielt Wort. Der Tisch, den er für Karen und ihren Mann, wie er betonte, reserviert hatte, stand weder am Getränkebuffet noch direkt neben der Toilette. Er stand vielmehr unmittelbar an der Tanzfläche. Genau genommen musste jeder ihn passieren, der nach dem Essen noch Kalorien verbrennen wollte. Dank der Vibration der Lautsprecher hüpften die Erbsen, die es als Beilage zum Essen gab, im Takt über den Teller. Nicht nur dieser Umstand nervte Karen ganz gewaltig, sondern auch die Kleinigkeit, dass Kevin immer noch nicht wieder im Hotel aufgetaucht war. Absolut solo, wie auf einer Insel im wogenden Meer der übrigen Gäste, saß Karen an ihrem Tisch, krampfhaft bemüht, sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
Einmal ganz davon abgesehen, begann sie sich auch Sorgen um Kevin zu machen.
Wo steckte er bloß?
Dauerte die Besichtigung einer Villa in Italien denn so viel länger als daheim in Deutschland?
Ein, zwei, maximal drei Stunden, aber mehr?
Karen verschloss die Augen vor den Bildern, die plötzlich aus ihrem dank Film und Fernsehen reich gespeisten Unterbewusstsein auftauchten: Mafia, der Pate, Blutrache, Raub, Mord, Beton, Fischerjungen auf Capri, Gerhard Wendtland, Rudi Schuricke.
An dieser Stelle prustete Karen vor Lachen in ihr Glas. Was ihr die mitleidigen Blicke einiger Damen eintrug, deren Fesseln in Augenhöhe auf der Tanzfläche an ihr vorbeischwebten. Ohnehin bekam die Szenerie um sie herum zunehmend etwas Skurriles, was aber auch sehr gut an dem schweren dunklen Rotwein liegen konnte, von dem sie bereits eine Flasche ganz allein geleert hatte. Als sie mit einem Ruck ihren Stuhl zurückstieß, um sich zu erheben, war sie jedenfalls sehr dankbar, dass Luigi zur Stelle war, um sie hilfsbereit aufzufangen.
»Luigi, die Polizei. Mein Mann ist verschwunden«, forderte sie, leicht lallend.
»Niente Carabinieri, Signora! Signor Müller hat soeben angerufen und eine Nachricht für Sie hinterlassen.«
Genauso gut hätte Luigi einen Kübel kaltes Wasser über Karen ausschütten können. Sie fühlte sich schlagartig nüchtern.
So war das also. Während sie hier mutterseelenallein zwischen all den vielen fremden Leuten ihr Essen in sich hineinzwang, hinterließ er Nachrichten. War das etwa der Kick, von dem er gesprochen hatte?! Vielleicht stellte er sich eine Schnitzeljagd quer durch das Hotel vor. Wenn sie es schaffte, seine Spur bis in die Besenkammer zu verfolgen, belohnte er sie mit dem Heiratsantrag, von dem ihre Oma bereits heimlich träumte. Gefolgt von einem Schäferstündchen zwischen Staubwedeln und Möbelpolitur.
Dolce far niente? Niente!
Wütend hämmerten die Absätze ihrer Sandaletten auf die Steinfliesen, als sie Luigi an die Rezeption folgte. Heftig riss sie das Blatt Papier, auf dem Kevins Nachricht notiert war, an sich.
Liebe Karen, bitte mach dir keine Sorgen. Ich erkläre dir alles, wenn wir uns wiedersehen. Kevin.
Na, wenn das keine gute Nachricht war!
Idiot! Was sollte das heißen: Wenn wir uns wiedersehen? Wann gedachte »il Signore« denn, endlich zurück ins Hotel zu kommen?
An ihrem ersten gemeinsamen Wochenende seit zwei Jahren? Dem mit dem Kick!
Obwohl es in Karen brodelte wie in einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch, gab sie sich nach außen so beherrscht wie möglich. »Danke, Luigi, es ist alles in Ordnung. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Signora. Schlafen Sie gut!« Luigi schenkte ihr einen langen tiefen Blick, den Karen auch ohne Worte richtig verstand. Aber sie verspürte keine Lust, sich von Luigi trösten zu lassen.
Auch nicht für eine Nacht.
Dank des Rotweins fiel Karen bald in einen unruhigen Schlaf. Sie schwitzte und kämpfte sich aus dem dünnen
Weitere Kostenlose Bücher