Wer bricht das Schweigen (German Edition)
ich mit meinen Hausbesuchen gerade fertig war, bot es sich doch geradezu an, Ihnen zu folgen. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mich Ihnen anschließe?“
„ Hoffentlich hat Sie niemand dabei beobachtet“, meinte sie zweifelnd. „Sie wissen doch, hier auf dem Land gibt es keine Geheimnisse.“
„ Macht es Ihnen etwas aus, wenn Sie mit mir in Zusammenhang gebracht werden, Janina?“, fragte er sie verschmitzt lächelnd, während er beharrlich an ihrer Seite blieb. „Oder gibt es einen Mann in Ihrem Leben, der uns das übelnehmen könnte?“
„ Nicht mehr“, erwiderte sie kurz. „Ich bin niemandem mehr Rechenschaft schuldig, und darüber bin ich ehrlich froh.“
Er begriff sofort, was sie ihm damit sagen wollte. „Ich vermute, er hat Ihnen sehr weh getan, Janina. Sind Sie deshalb so abweisend zu mir?“
„ Bin ich das?“, fragte sie peinlich berührt, dass er es gemerkt hatte. „Wahrscheinlich haben Sie recht, Herr Doktor. Ich habe hier in Diebach meinen Frieden gefunden, und den will ich mir erhalten.“
„ Soll das heißen, Sie haben Angst, dass ich Ihnen Ihren Frieden zerstören könnte, Janina? Weigern Sie sich deshalb immer noch so beharrlich, mich Michael zu nennen? Oder bin ich Ihnen so unsympathisch, dass Sie mir lieber aus dem Weg gehen möchten?“
Sie überlegte lange. Wie sollte sie ihm erklären, dass seine Vermutungen falsch waren, ohne zu viel von ihren Gefühlen für ihn zu verraten?
„ Sie sind mir nicht unsympathisch, Michael“, begann sie. Sie spürte seine Hand unter ihrer Armbeuge und wusste auf einmal nicht mehr weiter.
„ Der Weg ist ziemlich aufgeweicht von dem Regen“, stellte er fest. „Ich möchte nicht, dass Sie das gleiche Schicksal erleiden wie Ihre kleine Schülerin. Mit Ihren dünnen Schuhen könnten Sie hier leicht ausrutschen.“
Sie hatte ja gewusst, dass sie gut daran
tat, diesem Mann aus dem Weg zu gehen. Janina versuchte, sich an Rainer zu erinnern. Es gelang ihr auf einmal nur schwer, sich sein Gesicht vorzustellen. Er war ihr so fern, beinahe fremd. Dabei waren sie einmal verlobt und hatten vor, schon bald zu heiraten.
„ Ich gebe mir hier alle Mühe, um Sie aufzuheitern, aber Sie scheinen mir nicht einmal zuzuhören“, beklagte sich Michael scherzhaft. „Könnten wir nicht Freunde sein, Janina? Eine andere Möglichkeit wäre, dass Sie in mir einen großen Bruder sehen. Wir leben beide noch nicht lange hier in Diebach. Mir gefällt das Landleben. Nur manchmal habe ich das Bedürfnis, auch einmal auszubrechen. Einen Theaterbesuch zu machen, oder auch nur ins Kino zu gehen. Aber das alles macht nur Spaß, wenn man es zu zweit erleben kann. Wie ist es nun mit dem großen Bruder, Janina?“, fragte er sie neckend. „Wärest du einverstanden, wenn er dich eines Tages mit Theaterkarten überraschen würde?“
Ich muss ihm sagen, dass ich meine Ruhe haben will, schoss es Janina durch den Kopf. Wenn ich Michael jetzt wegschicke, ist es für immer aus, war ihr nächster Gedanke. Sie hatte sich schon immer Geschwister gewünscht, aber dieser Wunsch war leider unerfüllt geblieben. Warum nahm sie sein Angebot eigentlich nicht dankbar an?
„ Ich würde mich über einen Theaterbesuch ehrlich freuen“, gestand sie. „Es wird nur nicht leicht sein, Karten zu bekommen.“
„D as ist meine leichteste Übung, Janina“, meinte er übermütig. „Ich bin froh, dass deine Entscheidung zu meinen Gunsten ausgefallen ist. Du wirst schon bald feststellen, wie gut es dir tut, einmal aus dem täglichen Einerlei herauszukommen. Einmal abschalten, und alles vergessen, was dich belastet.“
Ob Michael Baumann auch einen Grund dafür hatte? Heimlich warf sie einen Blick in sein Gesicht, das jetzt ungewöhnlich ernst wirkte. Der Arzt war bemüht, sich ihr von seiner humorvollen Seite zu zeigen, aber es gab auch Momente, in denen er sich unbeobachtet fühlte. Da wirkte sein Gesicht angespannt und sorgenvoll. Vielleicht hingen diese Stimmungen mit seinem Beruf zusammen.
„ Tanzt du gerne, Janina?“, fragte er. „Ich habe mir gerade überlegt, wann ich das letzte Mal das Tanzbein geschwungen habe. Es ist bestimmt schon zwei Jahre her.“
„ Eine Ewigkeit also“, spöttelte sie. „Bei mir dürfte es noch viel länger her sein. Rainer konnte gar nicht tanzen.“ Nun war es heraus. Janina hätte sich am liebsten auf den Mund geschlagen. Dieser Name sollte doch nie wieder über ihre Lippen kommen.
Er fragte
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