Wer bricht das Schweigen (German Edition)
nicht weiter, als er sah, wie erschrocken sie war. Sie sollte auf keinen Fall das Gefühl haben, dass er sie zu einem Geständnis zwingen wollte. „Du solltest mich ausreden lassen, Janina“, fuhr er fort. „An meinem Geburtstag vor einigen Tagen ist mir so einiges durch den Kopf gegangen. Ich wollte nicht, dass jemand davon erfährt, aber dann stellte ich doch fest, dass ich auch nicht so richtig glücklich darüber war, dass er so sang- und klanglos unterging. Verstehst du, was ich meine?“
„ Nachträglich noch meinen herzlichsten Glückwunsch“, sagte sie automatisch. „Dazu ist es doch sicher noch nicht zu spät?“
„ Danke. Das war aber nicht der Grund, warum ich davon angefangen habe. Früher gab es ein paar Blümchen von den Kollegen und einen kleinen Umtrunk, als ich noch an einer Klinik in München gearbeitet habe. Ich trauere nicht vergangenen Zeiten nach, dazu bin ich viel zu froh darüber, endlich meinen Traum von einer Praxis auf dem Lande verwirklicht zu haben. Klingt alles ein bisschen unverständlich für dich, nicht wahr? Ich kann es dir auch vereinfacht erklären, Janina. Was ich mir wünsche ist, dass wir einmal einen Abend zusammen in der Stadt verbringen. So eine Art Nachfeier machen. Ein gutes Essen, tanzen auf einer Hotelterrasse, lachen. Würde dich das nicht auch einmal reizen? Ich glaube, dieser Abend würde uns beiden gut tun.“
Der Vorschlag klang verlockend. Michael hatte ja recht. Aber war es auch klug? Janina machte sich nichts vor. Sie hatte sich längst eingestanden, dass sie auf dem besten Weg war, sich neu zu verlieben.
„ Du kannst mir doch meinen Geburtstagswunsch nicht abschlagen, Janina“, sagte er betrübt, als ihm auffiel, wie sie mit sich kämpfte.
„ Du hast recht, Michael, das geht natürlich nicht.“ Janina war froh darüber, dass er ihr eigentlich gar keine Wahl ließ. Sie nahm sich vor, einen kühlen Kopf zu behalten. Michael war ganz anders als alle Männer, die sie bisher kennengelernt hatte, das bedeutete aber noch lange nicht, dass er auch einen besseren Charakter hatte.
* * *
Die Kinder standen vor dem Schulhaus und warteten auf ihre Lehrerin. Janina war noch rasch in ihre Wohnung hinaufgegangen, um sich einen Schirm zu holen, falls es regnete. Sie hatten beschlossen, eine kleine Wanderung zu machen, um den Naturkunde-Unterricht ein wenig lebendiger zu gestalten. Als die Lehrerin wieder nach unten kam, sah sie eine junge Frau inmitten der Kinder.
„ Meine Regina war der Meinung, dass es Ihnen nichts ausmachen würde, wenn ich mitkomme“, erklärte sie ein wenig schüchtern.
„ Ich freue mich darüber“, versicherte ihr Janina. „In der Stadt war es durchaus üblich, dass sich bei unseren Ausflügen auch Eltern anschlossen, die gerade Zeit hatten. Hier in Diebach war ich mir nicht sicher, ob mein Angebot auf Interesse stoßen würde.“
„ Sie haben sicher recht, Frau Meisner. Eine Bäuerin, die oft stundenlang auf dem Acker steht, legt bestimmt keinen großen Wert auf einen Spaziergang“, bestätigte die junge Frau lächelnd. „Dazu hat sie wahrscheinlich weder Zeit noch Lust. Zeit ist etwas, das ich im Übermaß habe. Ich lebe alleine hier mit meiner kleinen Tochter. Mein Mann ist vor einigen Monaten zu seiner Freundin gezogen, weil er das Zusammenleben mit mir nicht mehr aushielt.“
Janina glaubte sich verhört zu haben. Diese Offenheit machte sie sprachlos. Heimlich begann sie, sich ihre Begleiterin näher anzuschauen. Reginas Mutter war eine hübsche junge Frau. Sie war ungeschminkt. Auch ihre Kleidung war schlicht, als ob es ihr völlig gleichgültig wäre, was sie anhatte.
Sie waren an einer Kreuzung angekommen. „Wir schlagen den Weg zum Wald ein“, schlug Janina vor, als die Kinder nicht mehr weiter wussten. „Den
Grillplatz kennt ihr ja sicher alle. Wer von euch W ürstchen dabei hat, kann sie dort braten.“
Ihr Vorschlag wurde mit begeisterter Zustimmung belohnt. „Die Kinder mögen Sie sehr, Frau Meisner“, stellte ihre Begleiterin fest. „Auch meine Regina ist viel lieber in der Schule, als bei mir daheim. Ich glaube, ich kenne auch den Grund dafür. Sie haben die Gabe, die Kinder zu begeistern. Wenn ich meiner Tochter vorschlage, mit mir spazieren zu gehen, macht sie ein missmutiges Gesicht. Ich kann es ihr nicht einmal übelnehmen, dass sie möglichst wenig mit mir zu tun haben will“, gestand sie seufzend.
„ Sie reden sich da etwas ein, das gar nicht stimmen kann,
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