Wer den Himmel berührt
daß eine Frau das Recht hat, über ihr Schicksal mitzubestimmen, und daher nimmt er Abtreibungen vor. Er ist bereit, seine berufliche Laufbahn für seine Überzeugungen aufs Spiel zu setzen. Du wärst nicht die erste Patientin, die ich zu ihm schicke. Es wäre eine gefahrlose und saubere Angelegenheit. Absolut gefahrlos.«
»Empfiehlst du mir eine Abtreibung?«
Er sah sie an, und in seinen Augen stand ein Lächeln. »Bin ich etwa plötzlich dein Arzt geworden?«
Sie nickte. »Vermutlich schon, falls du mich als Patientin annimmst.«
»Wenn du sicher bist, daß es das ist, was du willst, werde ich ihn anrufen.«
Als Sam zwei Tage später aufbrach, wartete sie bereits auf das Ergebnis. Ob das Kaninchen wohl sterben würde? Sterben? Vielleicht würde Sam im Krieg sterben. Vielleicht würde sie irgendwo in einem schmutzigen Hinterzimmer sterben …
»He, Doc … Cassie, heul nicht so. Schließlich komme ich zurück. Wir werden wieder zusammenarbeiten.«
»O Sam«, schluchzte sie und konnte durch den Tränenschleier absolut nichts sehen. Sie schlang die Arme um ihn. »Ich weiß nicht, wie ich ohne dich zurechtkommen soll.«
»Du wirst das schon alles schaffen«, flüsterte er. »Du hast noch immer alles geschafft.«
Du hast ja keine Ahnung
, klagte sie stumm.
Du weißt ja nicht, wovon du sprichst.
»Komm schon, Doc. Lächle für mich. So möchte ich dich nicht in Erinnerung behalten. Nur ein klein wenig. Nur für mich.«
Aber sie konnte es nicht. Ihr war kein Lächeln mehr geblieben. Was jetzt noch in ihr war, das war ein unerwünschtes Baby, in der urzeitlichen Landschaft von Kakadu gezeugt.
29
E ineinhalb Tage lang, während der Bus durch die Gegend holperte – was zu ihrer ohnehin vorhandenen Übelkeit nur noch beitrug –, dachte Cassie an Blake. Sie fragte sich, was er empfinden würde, wenn er aus dem Krieg zurückkam und sie ihm berichtete, daß sie sein Kind abgetrieben hatte. Im Moment verspürte sie keinen Groll auf ihn. Es war ebensosehr ihre Schuld. Sie war nicht nur eine intelligente Frau, sondern noch dazu Ärztin, und sie hätte es wirklich besser wissen müssen. Sie hätten wenigstens darüber reden müssen. Aber das hätte eine Einbuße an Spontaneität bedeutet, an Erregung … an Romantik.
Sie hatte vorher den Verdacht gehabt, daß sie dort miteinander schlafen würden. Warum hatte sie kein Diaphragma mitgenommen? Ihren Patientinnen verordnete sie sie. Sie hatten nie auch nur ein einziges Mal erwähnt, was die Folgen ihrer Liebesakte sein könnten. Es lag daran, daß sie im Traum nicht geahnt hatten, wie dicht eine Trennung bevorstand, soviel wußte sie; sie hatten gewußt, daß sie heiraten würden, falls es zu einer Schwangerschaft kommen sollte. Und jetzt war sie auf sich allein gestellt und mußte die gesamte Verantwortung tragen. Sie war nicht soweit, daß sie ein Kind haben wollte. Und schon gar nicht ein uneheliches. Sie war auch nicht bereit, sich unmoralischen Betragens beschuldigen zu lassen.
Sie wußte, daß sie tun mußte, was sie tat. Und sie wußte auch, daß sie es Blake sagen mußte, wenn er nach Hause kam. Würde er es verstehen? Oh, warum war Fiona nicht hier? Mit ihr hätte sie all das eingehend bereden können. Vielleicht hätte Fiona sie auf dieser Fahrt begleitet, um ihre Hand zu halten und ihr Trost zuzusprechen. O Gott, wie sehr sie Fiona doch vermißte.
Ihre Gedanken kehrten wieder zu Blake zurück.
O Blake, komm nach Hause.
Sie wußte, daß sie ihre berufliche Laufbahn, ihr Leben, alles für ihn aufgegeben hätte. Und glücklich gewesen wäre, Mrs. Blake Thompson zu sein. Cassandra Thompson.
Sie würden andere Kinder haben. Drei, vier, ein Dutzend. So viele, wie er nur irgend haben wollte.
Townsville war ein verschlafenes tropisches Städtchen, dessen weiche, milde Luft Cassie umgab. Der Duft von Blumen erfüllte die Luft, während die Farbenpracht ihre Sinne bestürmte. Bougainvillea, Hibiskus, Federnelken und Jasmin blühten überall. Königspalmen ragten hoch in die Luft auf, und ihre Wedel wankten in der Brise, die vom Meer kam.
Die Stadt selbst zeugte vom Kolonialstil – ein erfreulicher Anblick, dachte Cassie, als sie im Busbahnhof ausstieg und sich umsah. Eine Frau von mittlerer Größe mit glattem, schulterlangem braunem Haar winkte ihr zu und rief: »Juhu.« Unter ihren leuchtendgrünen Augen, die vor Leben sprühten, verblaßte der knallrote Lippenstift. Sie ging auf Cassie zu, streckte die Hand aus und begrüßte sie mit einem
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