Wer den Himmel berührt
fliegen. Das heißt mit anderen Worten, wenn du eine Meile über dem Boden bist, könntest du so noch zehn Meilen weit fliegen. So, und jetzt gehen wir an die Abrutschgrenze, nehmen das Gas ein wenig zurück und verlangsamen die Fluggeschwindigkeit. Zieh die Steuer zurück, und zieh so lange daran, bis sie sich nicht noch weiter zurückziehen lassen. Dann wird die Nase des Flugzeugs nach unten sinken.«
Cassie schlug das Herz in der Kehle. Nie hatte sie Sams und Fionas Können derart zu würdigen gewußt. »Es wird sinken wie ein Blatt, aber es wird nicht senkrecht nach unten fallen. Laß das Horn ganz hinten und benutze die Ruder, damit das Flugzeug nur einfach immer weiter sinkt und an Fluggeschwindigkeit verliert.« Und genau das tat es auch. Cassies Kehle schnürte sich zu, und sie glaubte nicht, Luft holen zu können.
Rob sah sie an und lachte. »Wir kommen ganz einfach aus diesem Sinkflug heraus, indem wir das Steuer nach vorn drücken. Mach niemals abrupte Bewegungen, sondern laß die Nase geschmeidig nach unten sinken. Wenn du das Horn nach vorn drückst, senkt sich die Nase, und das Flugzeug gewinnt an Geschwindigkeit und fliegt wieder weiter.«
Cassie warf einen Blick auf ihn und holte tief Luft.
Sie verbrachte einen Monat in Brisbane, und als sie draußen in Tookaringa ihre Sprechstunde wieder abhielt, war Fiona schwanger.
»Warum wirkst du nicht glücklicher auf mich?« fragte Cassie. »Ich dachte, das sei genau das, was du wolltest.«
»Ich bin außer mir vor Freude darüber. Steven auch.«
Es herrschte Stille. »Und was ist mit Blake?«
Tränen traten in Fionas Augen. »Der begeistert sich für nichts. Er macht kaum auch nur den Mund auf. Er bleibt die meiste Zeit in unserem Zimmer und liest oder starrt aus dem Fenster.«
»Männern, die den Krieg miterlebt haben, schreckliche Dinge gesehen haben und dabei waren, als ihre Freunde gestorben sind, kann das oft passieren. Vielleicht fragt er sich, warum er überlebt hat und die anderen gestorben sind.«
Fiona nickte. »Ich bin sicher, daß das auch eine Rolle spielt, aber er glaubt, daß er zu nichts in der Lage ist und daß sein Leben vorüber ist.«
Cassie trank ihren Tee aus. »Du meinst, wegen seines Arms?«
Fiona nickte. »Ja. Er hält sich nicht mehr für vollwertig. Er kann nicht reiten und fragt sich, wozu er hier draußen eigentlich gut ist, wenn er sich nicht auf ein Pferd setzen kann. Er kann keine Rinder brandmarken. Er kann kein Vieh zusammentreiben. Er kann nichts von den Dingen mehr tun, die er sein ganzes Leben lang getan hat. Er schafft es noch nicht mal selbst auf ein Pferd.«
Darauf hatte Cassie keine Antwort parat. »Aber er kann Vater und Ehemann sein.«
»Er hat geglaubt, ich wollte noch nicht einmal mehr in einem Bett mit ihm schlafen, nachdem er jetzt den Arm verloren hat. Er hat geglaubt, dieser Anblick bewirkt, daß ich ihn nicht mehr begehre. O Cassie.« Tränen rannen jetzt über Fionas Wangen. »Ich mußte alles tun, was mir nur irgend eingefallen ist … um ihn zu verführen! Ich weiß noch nicht einmal, ob er es wollte.«
»Mein Gott, Fi, er ist doch immer noch ein Mann.«
»Das scheint er nicht zu glauben. Nichts, was Steven und ich tun, scheint ihn aus seiner Lethargie aufzurütteln. Er interessiert sich für nichts. Als wir festgestellt haben, daß ich schwanger bin, hat eine Sekunde lang ein Funken Leben in seinen Augen aufgeleuchtet, und er hat gesagt: ›So Gott will, wird es ein Mädchen werden.‹ Ich glaube, er hat damit gemeint, Mädchen ziehen nicht in den Krieg.«
»Er kann doch nicht den Rest seines Lebens damit verbringen, Selbstmitleid zu haben.« Als sie das sagte, erkannte Cassie, daß sie einen beträchtlichen Teil der letzten fünf Jahre damit zugebracht hatte, sich selbst zu bemitleiden, weil Blake sie verlassen hatte. Vielleicht war man nicht Herr über seine Gefühle. Vielleicht konnte niemand Blake aus seiner finsteren Stimmung herausholen. Er würde es mit der Zeit selbst schaffen müssen. »Die einzige Weisheit, die ich mit dem Älterwerden erlangt habe, ist die, daß auch das vorübergehen wird. Alles geht irgendwann vorüber.«
Fiona rang sich zu einem Lächeln durch. »Wenn ich wirklich glücklich bin, sehe ich das auch so. Wenn ich aber in einen Abgrund gerate, bin ich felsenfest davon überzeugt, daß ich bis in alle Ewigkeit hoffnungslos unglücklich sein werde.«
»Du mußt immer daran denken, daß es vorbeigeht.«
Fiona legte einen Arm um Cassies Schultern. »Du hast
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