Wer den Himmel berührt
ja recht. Das überlege ich mir jede Nacht. Aber ich wünschte, es gäbe etwas, was ich bis dahin tun kann, um ihm zu helfen. Es ist mir unerträglich, ihn so zu sehen. Er war ein Gigant, Cassie. Und jetzt?«
»Blake Thompson wird eines Tages wieder ein Gigant sein, du wirst es ja sehen. Wir werden uns etwas einfallen lassen. Zum Teil liegt es an dieser verdammten Schwüle. Die kann jeden lahmlegen. Ehe ich aufbreche, muß ich mich wegen der Funkrufe mit Horrie in Verbindung setzen. Ich rufe ihn von deinem Apparat aus an, einverstanden?«
Horrie verband sie mit der Frau von Ian James, die ihr Symptome schilderte, von denen Cassie mit Sicherheit glaubte, daß es sich um eine Lungenentzündung handelte.
»Ich fliege gleich rüber«, sagte Cassie. Da ansonsten keine Notfälle gemeldet worden waren, griff sie nach ihrer Tasche und sagte zu Fiona: »Wir sehen uns in ein paar Wochen wieder. Ich fliege jetzt zu den James.«
Fiona begleitete sie zum Flugzeug. »Es versteht sich doch wohl von selbst, daß ich damit rechne, dich bei der Geburt an meiner Seite zu haben.«
»Ja, das versteht sich von selbst.« Cassie gab ihrer Freundin einen Abschiedskuß.
Vierzig Minuten später traf sie bei den James ein. Ian James lag im Bett und rang in der stickigen Schwüle um Atem. Cassie setzte sich neben ihn und zählte, daß er vierzigmal in der Minute keuchend Luft holte. Er sog sie ein, doch das verschaffte ihm offensichtlich keine Linderung; seine Lunge mußte mit Flüssigkeit und Eiter vollgesogen sein und kaum offene Atemwege haben.
»Hat er viel gehustet?«
Mrs. James nickte mit angsterfüllten Augen. »Und dabei ist gelblichgrüner Schleim mit Blutspuren rausgekommen.«
Cassie fühlte ihm den Puls.
»Warum ist er so blau angelaufen?« fragte seine Frau.
»Weil der Sauerstoffanteil im Blut nicht ausreichend ist.«
»Hat er Lungenentzündung?«
Cassie nickte. Er brauchte dringend eine Sauerstoffzufuhr, und er mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Er schwitzte, und seine Muskeln waren angespannt. Sie fand, bei seinem Ringen um Atem sähe er vor Anstrengung fast aus wie ein Preisboxer.
»Ich werde ihn ins Krankenhaus bringen müssen. Ich werde Ihnen heute abend von Augusta Springs aus Bescheid geben. Ich habe eine Sauerstoffmaske im Flugzeug, aber wenn wir ihn nicht schnell ins Krankenhaus bringen, nun …«
Sie sah sich um. »Ich habe eine Tragbahre im Flugzeug. Können Sie einen der Männer finden, die für Sie arbeiten, damit er mir tragen hilft?«
»Ich helfe Ihnen.«
Gemeinsam hoben sie Ian James auf die Bahre und gurteten sie im Flugzeug fest. Cassie beugte sich über ihren Patienten und rückte die Sauerstoffmaske zurecht. Sein Puls schlug schon jetzt noch langsamer; sein Blutdruck sank stetig. Er schnaufte weniger oft und verlor offensichtlich immer mehr Kraft, wie ein Schwimmer, der sich im Wasser abmüht.
Sie brachte den Motor auf Touren und flog los. Es war das fünfte Mal, daß sie allein flog. Sie mußte sich auf das Fliegen konzentrieren, auf den Gegenwind, der plötzlich aufkam und die Leitwerke flattern ließ, aber ein großer Teil ihres Bewußtseins weilte hinter ihr, dort, wo sie nicht hinsehen konnte. Sie kämpfte gegen den Wind an und fragte sich, ob das hieß, daß ein tropischer Sturm auf sie zukam. Sie betete, sie möge Augusta Springs erreichen, ehe das Unwetter losbrach.
Als sie nach Süden flog, hatte sie keinen Gegenwind mehr und flog durch einen ruhigen Himmel. Sie wollte dringend bei ihrem Patienten sein und sehen, was für ihn getan werden konnte. Saß die Sauerstoffmaske noch an der richtigen Stelle, oder war sie verrutscht? Atmete der Mann noch? Sie verrenkte sich auf ihrem Sitz und schaute in die Kabine hinter sich, und als sie ein Rasseln hörte, wußte sie, daß die Luft sich einen Weg an der Flüssigkeit im Brustkorb vorbeibahnte und gurgelnde Laute erzeugte.
Sie hatte die gräßliche Vorahnung, daß sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen würden. Wenn sie dort hinten bei ihrem Patienten gesessen hätte, hätte sie vielleicht etwas tun können. Sie verstand, warum John Flynn es zur Vorschrift erhoben hatte, daß Fliegende Ärzte nicht ihre eigenen Flugzeuge steuern durften. Im Moment konnte sie nicht mehr für ihn tun, als wenn er zu Hause in seinem Bett gelegen hätte. Wahrscheinlich wäre er lieber dort gestorben als auf dem Weg nach Augusta Springs.
Und auf diesem Weg starb er dann auch. Fünfzehn Minuten ehe Cassie landete, schnaufte Ian James einmal tief und stöhnte
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