Wer den Himmel berührt
dann verhalten. Danach war kein Laut mehr zu vernehmen. Als Cassie zu Hause eintraf, hatte Chris schon einen Scotch für sie eingeschenkt. Sie trank ihn auf einen Zug und berichtete ihm, was passiert war, erzählte ihm sowohl von Ian als auch von Fionas Schwangerschaft.
»Was soll dieser ganze Quatsch, daß wir uns angeblich an den Tod gewöhnen?« fragte Cassie.
»Ich nehme an, das dient dazu, daß wir nicht mehr ganz so sehr darunter leiden.«
»Setzt es dir immer noch zu?«
»Nicht mehr so sehr, wenn ich den Patienten nicht kenne. Aber immer noch genauso sehr, wenn es jemand ist, den ich lange Zeit gekannt habe. Oder ein Baby.«
»Es der Familie zu sagen. Das ist das Schlimmste von allem. Es seiner Frau über Funk mitzuteilen. Das ist mir so unpersönlich erschienen.«
Chris sagte nichts dazu.
»Ich werde jetzt duschen«, sagte Cassie. Sie stand auf und ging in ihr Zimmer – das Zimmer, in dem sie gleich nach ihrer Ankunft in der Stadt gewohnt hatte.
Als sie aus der Dusche kam, sagte Chris: »Du bist doch bestimmt nicht dazu aufgelegt, daß wir uns etwas kochen. Hast du Lust, zu ›Addie’s‹ zu gehen?«
»Klar.« Sie schüttelte den Kopf, als sie in den Spiegel schaute. »Chris, was würdest du davon halten, wenn ich mir das Haar wachsen lasse?«
Er stellte sich hinter sie und sah ihr Spiegelbild an. »Das hätte ich dir schon immer gern vorgeschlagen. Ich glaube, das würde mir gut gefallen.«
»Und warum hast du es mir dann nie gesagt?«
»O Cassie, ich besitze nicht die Tollkühnheit, dir Vorschläge zu machen. Wenn ich gesagt hätte, es würde mich freuen, wenn du dir das Haar wachsen ließest, dann hättest du es niemals getan. Du gehst nie auf Vorschläge ein. Du scheinst sie als Befehle aufzufassen, und wenn es etwas gibt, was dir verhaßt ist, dann ist das Autorität.«
Sie schaute ihn im Spiegel an. »Du stellst mich hin, als sei ich ziemlich abscheulich.«
Er lächelte sie an. »In gewissen Momenten bist du das auch.«
War sie es wirklich? Das war ein Teil ihrer selbst, den sie sich nie eingestand.
41
A n dem Tag, an dem die Vereinigten Staaten die Atombombe abwarfen, die das Kriegsende herbeiführte, entband Cassie Fiona von einer Tochter, die acht Pfund und zweihundert Gramm wog. Sie wurde Jenny genannt. Fiona hatte nicht ins Krankenhaus kommen wollen, sondern hätte es vorgezogen, das Baby zu Hause zu bekommen. Davon wollte Steven nichts hören. Er hatte zu viele Kinder dadurch verloren, daß ein Krankenhaus zu weit entfernt gewesen war.
Cassie schlug vor, Fiona solle drei Wochen ehe das Baby erwartet wurde, in die Stadt kommen und bei ihnen wohnen, in ihrem alten Zimmer. »Blake würde es auch nichts schaden, wenn er mitkäme. Wir haben genug Platz.«
Als sie Chris erzählte, daß sie die beiden eingeladen hatte, fragte er: »Wie ist dir dabei zumute, Blake hier zu haben, in unserem Haus?«
»Ich wünschte, du würdest mich mit diesem alten Hut verschonen. Ich habe ein gutes Gefühl dabei. Fiona ist meine engste Freundin, und ich will, daß sämtliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Es ist eine Fahrt von zwölf Stunden, falls die Wehen vorzeitig einsetzen sollten. Ich erteile all meinen werdenden Müttern den Rat, schon einige Wochen vorher in die Stadt zu kommen.«
»Das weiß ich«, sagte er, »aber wenn man bedenkt, was du damals mit Blakes Baby getan hast …«
Cassies Augen loderten auf. »Kannst du das denn nicht vergessen? Ja, ich habe es getan. Das Klügste, was ich je getan habe. Ich empfinde nichts mehr für Blake. Im Ernst. Aber Fiona liegt mir sehr am Herzen. Um Himmels willen, Blake ist ein Versager. Seit er nach Hause zurückgekommen ist, sitzt er doch nur noch rum wie ein Fossil, rührt keinen Finger mehr, redet kaum noch ein Wort und sorgt dafür, daß die Stimmung auf Tookaringa gedämpft ist. Glaubst du im Ernst, ich hätte lieber ihn als dich?«
»Das kommt nur daher, daß du manchmal so weit weg zu sein scheinst.«
»Das kommt davon, daß man eine Frau heiratet, die selbst berufstätig ist. Ich bin nicht jede Sekunde nur für dich da! Mein Gott, ich habe Probleme und Sorgen, und ich mache mir Gedanken über meine Patienten und auch über meinen Job, das mußt du doch einsehen. Ich dachte, das wüßtest du.«
Er nickte. »Ja, sicher. Schon gut. Es tut mir leid, daß ich davon angefangen habe. Solange du damit umgehen kannst, daß Blake hier ist, kann ich es vermutlich auch.«
»Das möchte ich dir geraten haben. Schließlich hast
du
mich in
Weitere Kostenlose Bücher