Wer den Himmel berührt
Schraubenschlüssel?«
»Klar, in der Werkstatt«, sagte die Missionarin. »Folgen Sie mir.«
Cassie warf einen Blick auf Sam. »Ich habe das Gefühl, daß du hier gebraucht wirst. Du hast entschieden kräftigere Muskeln als ich.«
»Dafür werde ich Gott ewig danken«, sagte er grinsend.
Sie lächelte nicht.
In der Werkstatt fanden sie Schraubenschlüssel und Zangen. »Wir können nur hoffen, daß es damit geht.«
Als alles vorbereitet war, sagte Cassie zu der Missionsschwester: »Sie werden ihm die Narkose verabreichen müssen.« Sie holte die Gazemaske und die Ätherflasche aus ihrer Tasche.
»Diesmal nicht ich?« fragte Sam erleichtert.
»Nein, dich brauche ich, damit du dieses verdammte Ding rausziehst.«
Sam sah sie an.
»Du mußt dich vorsehen«, fuhr sie fort, »daß es nicht zu vertebralen Verletzungen kommt.« Der verständnislose Ausdruck in seinen Augen fiel ihr auf. »Die Wirbel – die Knochensegmente, aus denen sich das Rückgrat zusammensetzt. Um nicht zu riskieren, daß du ihm einen Wirbel brichst, mußt du den Speer gerade herausziehen. Du darfst keine andere Kraft einsetzen, keine willkürliche Hebelwirkung. Du mußt einfach nur daran ziehen und darfst die Richtung nicht ändern.« Sie wandte sich an Ina. »Während Sie ihm den Äther verabreichen und Sam den Speer herauszieht, brauchen wir noch ein paar Leute, die den Patienten festhalten, damit Sam Kraft einsetzen kann. Könnten Sie zwei starke Männer zu Hilfe rufen?«
Ina verschwand.
»Was passiert, wenn ich die Wirbelsäule verletze?« fragte Sam.
Cassie warf einen schnellen Blick auf ihn. Daran hatte sie auch schon gedacht. »Tu es nicht.«
Ina kehrte mit zwei großen Aborigines zurück und erklärte ihnen, sie müßten den Patienten mit aller Kraft auf dem Boden festhalten, damit Sam den Speer herausziehen konnte.
»Er darf sich keinen Zentimeter rühren können«, ordnete Cassie an. Sie nickte Ina zu. »Okay, geben Sie ihm jetzt einen Tropfen Äther nach dem anderen«, sagte sie und erklärte, wie er zu verabreichen war. Sie kniete sich neben den Patienten, preßte die Hände auf die Haut um den Speer herum und schlug Sam vor: »Stell einen Fuß auf den Hintern des Mannes, damit du dir die Hebelwirkung zunutze machen kannst. Er kann es nicht spüren. Und jetzt zieh, behutsam, aber unter Einsatz von Kraft.«
Der Speer rührte sich nicht von der Stelle.
Sam begann zu schwitzen. Es war heiß in der Hütte.
»Okay«, sagte Cassie. »Dann eben immer nur ein kleines Stückchen. Versuch, ihn mit dem Schraubenschlüssel zu drehen.«
Der Speer drehte sich ein wenig, aber wirklich nur ein klein wenig. »Und jetzt zieh vorsichtig daran«, sagte sie. »Versuch, erst zu drehen und dann zu ziehen.« Als er das tat, blieb Haut an dem Speer kleben. »Warte!« rief sie. »Sieh mal, wenn du den Speer herausdrehst, bleibt die Haut daran kleben. Du mußt ihn ein klein wenig herausziehen und ihn dann zurückgleiten lassen, und ich drücke gegen die Haut, damit sie sich von dem Speer löst.«
»Oh, der arme Mann«, stöhnte Ina, die gerade einen Tropfen Äther auf die Gaze tröpfelte.
»Und jetzt zieh vorsichtig daran«, ordnete Cassie an und preßte die Hände auf den Rücken des Mannes, damit die Haut sich nicht um den Speer schlang. »Aber nach jeder dritten oder vierten Drehung mußt du den Speer wieder ein wenig in ihn hineinstoßen. Die Haut darf nicht aufreißen.« Sie erkannte, daß nicht ihr gesamter Schweiß auf die Schwüle zurückzuführen war.
Auch auf Sams Gesicht schimmerte Schweiß. Er machte eine Pause, um sich einen Moment auszuruhen, und Cassie blickte zu ihm auf. Dann drehte er den Speer mit dem Schraubenschlüssel und zog geschickt daran.
»Warte, die Haut wird auch hochgezogen. Dreh ihn langsam, und zieh nicht daran. Ja, jetzt haben wir es. Okay, mach weiter, dreh ihn.«
Es dauerte etwa fünfzehn Minuten, bis Sam seinen Rhythmus gefunden hatte. Dann drehte er den Schraubenschlüssel ein wenig, lockerte den Speer und zog, während Cassie darauf achtete, daß die Haut nicht an dem Speer klebenblieb. Er begann allmählich, sich leichter herausziehen zu lassen.
Es dauerte mehr als eine Stunde, ehe der Speer mit einem saugenden Geräusch herauskam; Blut sprudelte wie eine Fontäne. Cassie preßte die Wunde schnell mit dem Daumen und dem Zeigefinger zusammen und griff nach der Kollodiumkompresse, die sie fest auf das Loch im Rücken des Mannes drückte. Dann schnappte sie sich eine Nadel für eine subkutane Injektion und
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