Wer den Himmel berührt
hat es mit diesen Walkabouts auf sich?« fragte Cassie.
Sam beantwortete ihre Frage. »Das hängt ganz davon ab, mit wem man spricht. Die meisten Verwalter von Gehöften, im Grunde genommen fast jeder, den ich kenne, wird erzählen, das sei ganz einfach die Art der Schwarzen, sich zu verdrücken, wenn sie nicht zum Arbeiten aufgelegt sind. Ein Schwarzer wird nie ankündigen, daß er fortgeht, er verschwindet ganz einfach eines Tages sang- und klanglos, und irgendwann erzählt einem dann jemand, er sei zu einem Walkabout aufgebrochen, zu seiner Wanderung. Aber ich glaube, daß das für sie eine spirituelle Bedeutung hat. Es ist eine Reise, die Suche nach etwas, vielleicht nach der Kontaktaufnahme mit den Geistern ihrer Ahnen.«
»Ich bin Ihrer Meinung«, fiel Jennifer ihm ins Wort. »Wir sind aufgebracht, wenn sie unsere Kultur nicht annehmen wollen. Wir …«
»Meine Frau meint die Weißen«, sagte Steven.
»Die Leute, die hergekommen sind, um das Land der Schwarzen zu besetzen«, fuhr Jennifer fort.
»Laß uns nicht ganz so weit gehen.« In Stevens Stimme schlich sich ein streitlustiger Tonfall ein.
»Aber wir wollen doch wirklich, daß sie unsere Kleider tragen, an unseren Gott glauben …«
Sam unterbrach sie wieder. »Das heißt, an den Gott der weißen Christen …«
Jennifer nickte. »… und in Häusern leben wie wir.«
»Das werden sie niemals tun«, sagte Steven.
»In unseren Häusern bekommen sie Klaustrophobie«, erklärte Jennifer. »Sie ziehen es bei weitem vor, sich aus den Ästen von Bäumen Hütten zu bauen, im Freien etwas Provisorisches hinzustellen, um den Kontakt zur Natur nicht zu verlieren und damit sie einfach ausziehen können, wenn sich der Schmutz dort sammelt oder wenn sie kollektiv ihr Walkabout antreten wollen.«
Steven sagte: »Wenn sie in Häusern leben, lassen sie sie verkommen. Sie haben nicht unsere Wertbegriffe …«
»Aber andererseits haben wir auch nicht ihre Wertvorstellungen«, warf Sam ein. »Sie sind dafür mehr … nun, ich glaube, sie sind spiritueller veranlagt als wir. Sie sind mehr mit der Natur im Einklang, und sie ehren ihre Ahnen.«
Jennifer lächelte, weil sie in Sam eine verwandte Seele gefunden hatte. Sie pflichtete ihm bei. »Sie sind ein sanftmütiges unkriegerisches Volk.«
»Jenny ist vernarrt in die Aborigines«, sagte Steven. »Das ist die alte Geschichte mit den edlen Wilden. Sie sieht sie niemals als schmutzig oder träge an. All ihre Bilder stellen sie und ihr Land dar.«
»All ihre Bilder?« fragte Cassie, die sich vorkam, als sei sie in einem fremden Land. Das hier war so ganz anders als das Australien, das sie als Kind in ihren Sommerferien gekannt hatte. Sie hatte in Melbourne etliche Aborigines gesehen, doch ihre Kultur war ihr völlig fremd.
»Jenny malt«, erklärte Steven. »Sie ist grandios gut.«
»Er ist voreingenommen«, sagte seine Frau lächelnd.
»Darf ich mir Ihre Bilder ansehen?« fragte Cassie.
»Ja, selbstverständlich. Im Moment habe ich nicht viele. Ich finde immer wieder Leute, denen ich sie geben kann. Als Hochzeitsgeschenk. Zum Geburtstag. Leute, die hier vorbeikommen und denen eines der Bilder besonders gut gefällt. Ich habe vor Jahren das Malen entdeckt, als Steven wochenlang ununterbrochen unterwegs war, um das Vieh zusammenzutreiben, und manchmal innerhalb von sechs Wochen vielleicht nur einmal nach Hause gekommen ist. Jetzt übernimmt Blake das für ihn. Heutzutage reitet er Gott sei Dank nicht mehr so weit aus. Aber das Malen hat mir dabei geholfen, den Verstand nicht zu verlieren, als ich damals hergekommen bin und glaubte, Alleinsein hieße Einsamkeit.«
Eine dunkelhäutige Eingeborene trug den Nachtisch auf, einen lockeren, großen runden Tortenboden, der mit roten und grünen Früchten und geschlagener Sahne bedeckt war. Das Kleid, in dem ihr üppiger Körper steckte, saß tadellos, und Cassie amüsierte sich darüber, daß das Mädchen keine Schuhe trug, sondern mit nackten Füßen über den Holzboden tappte.
Sam wollte sich eine Zigarette anzünden, sah Cassie an und steckte das Päckchen dann wieder in seine linke Hemdtasche. Die Eingeborene brachte Kaffee.
»Über das ganze Land verteilt haben wir etliche schwangere Frauen«, sagte Jennifer. »Wenn Sie das nächste Mal kommen, könnten wir sehen, ob Sie sie dazu überreden können, sich untersuchen zu lassen. Es könnte einige Zeit kosten, sie dazu zu bringen, daß sie sich Untersuchungen unterziehen. Steven hat sich schon überlegt, womit
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