Wer den Himmel berührt
klatschnaß war.
»Heute sind nur die schweren Fälle hergekommen«, sagte Ina zu ihr. »Aber es wird sich herumsprechen, daß Zahnschmerzen enden können und daß Sie einem Mann das Leben gerettet haben. Ich hoffe, vor Ihrem nächsten Besuch hier kann ich einige der schwangeren Frauen dazu überreden, daß sie sich von Ihnen untersuchen lassen, aber versprechen kann ich nichts. Vielleicht werden sie ihre Kinder impfen lassen. Es wird eine Zeitlang dauern. Ihnen ist bisher noch nie ärztliche Versorgung angeboten worden.«
»Wie lange sind Sie schon hier draußen?« fragte Cassie, die derart entkräftet war, daß sie nicht wußte, ob sie noch die Energie aufbringen würde, zum Flugzeug zurückzulaufen. Sie wußte, daß es dort glühend heiß sein würde, nachdem das Flugzeug mehr als sechs Stunden bei dieser hohen Luftfeuchtigkeit in der sengenden Hitze gestanden hatte.
»Sieben Jahre«, erwiderte die Frau, während sie sich den Schweiß von den Schläfen wischte.
Sam stand, nicht weit von dem Flugzeug entfernt, im Schatten einer Palme. Als er Cassie kommen sah, trat er seine Zigarette aus und streckte die Hand aus, um ihr die Arzttasche abzunehmen.
»Ich schaffe es schon«, sagte sie.
»Wir sehen uns dann nächsten Monat wieder«, sagte er zu der Nonne und sprang vor Cassie in das Flugzeug. Er trat zur Seite, als sie einstieg, und dann zog er die Treppe hoch und knallte die Tür zu.
»Hunderttausend Dank«, rief Ina.
Cassie ließ sich auf den Sitz sinken und schloß die Augen. O Gott, wie heiß es doch war.
11
J ennifer warf nur einen einzigen Blick auf Cassie und bestand darauf, daß sie sich vor dem Barbecue am Abend hinlegte. Wenn Jennifer um sieben Uhr nicht leise an ihre Tür geklopft hätte, hätte es gut sein können, daß Cassie erst Stunden später wach geworden wäre.
In einem Umkreis von mehr als hundert Meilen gab es keine anderen Rancher, doch die Thompsons hatten alle eingeladen, die innerhalb von Stunden anreisen konnten. Ihren Aufseher und seine Frau, Stevens Buchhalter, alle, die auf dem Gehöft halfen, die Viehtreiber und Rancharbeiter, die nicht zu weit draußen im Busch waren, den Gärtner und seine Frau, die beiden Mechaniker, den Tierarzt – jeder, der für sie arbeitete, war eingeladen worden, um die neue Ärztin kennenzulernen. Dazu gehörten auch mehr als zwei Dutzend Kinder.
»Mich begeistert das«, sagte Jennifer, als sie auf Cassies Bettkante saß. »Australien ist das egalitärste Land auf Erden. In England würde man niemals seine Arbeiter zu einer Party einladen. Aber natürlich gibt es auch noch alle die, die meilenweit entfernt von hier das Vieh zusammentreiben. Ich wünschte, Blake wäre hier. Er wird Sie mögen.«
»Meines Wissens habe ich nichts Angemessenes gekauft, was ich hier tragen könnte«, sagte Cassie und sah Jennifer in ihrem apricotfarbenen seidigen Kleid an, das sich eng an ihre ausgezeichnete Figur schmiegte.
»Oh, die Hälfte der Frauen, die kommen, besitzen gar nichts, was man als Partykleid bezeichnen könnte. Aber erzählen Sie mir bloß nicht, daß Sie Ihre Reithose tragen wollen.«
»Nein, ich habe durchaus ein Kleid mitgebracht.«
Jennifer sagte ihr, sie fände es sehr hübsch. Als sie gemeinsam die Treppe hinunterkamen, drehten sich sämtliche Köpfe nach ihnen um. Ihr rot-weiß gepunktetes Kleid aus feinem Batist wurde von den Frauen bewundert – so etwas hatten sie noch nicht gesehen. Sie waren an Jennifers Eleganz gewöhnt und nahmen sie als selbstverständlich hin, aber als sie jetzt die neue Ärztin in einem so hübschen Kleid sahen, wirkte sie gleich weniger, nun, wie eine unpersönliche Institution. Weniger furchteinflößend.
»Jeder dieser Männer hier wird mit Ihnen tanzen wollen«, flüsterte Jennifer.
»Ich würde meine Zeit genauso gern damit zubringen, mit den Frauen zu reden«, murmelte Cassie. »Schließlich sind sie diejenigen, die mich am meisten brauchen werden.«
»Nicht unbedingt.« Jennifer ließ ihren Arm los. »Und außerdem können Sie sich jederzeit mit den Frauen unterhalten. Tanzveranstaltungen sind dazu da, daß man mit dem anderen Geschlecht in Berührung kommt.«
Cassie schaute sich um. Sie entdeckte keine potentiellen Ray Grahams unter den Männern, niemanden, der ihr gefährlich hätte werden können. Vielleicht konnte sie es sich erlauben, heute abend ihren Spaß zu haben; mit den Arbeitern, die auf der Ranch halfen, den Pferdeliebhabern, den Mechanikern, den Handlangern und den jungen
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