Wer den Tod begruesst
alten Herrn ihn nicht schon auf Linie gebracht hätte, dann hätte es spätestens seine instinktive Reaktion auf Jillians Freundin Rachael Hanover getan..
Er beobachtete Jillian auf dem gegenüberliegenden Sitz, die sich völlig auf ihre Notizen und die Fragen konzentrierte, die sie in dem kommenden Interview stellen wollte. Er beschloss, sein ungutes Gefühl wegen Rachael erst einmal für sich zu behalten. Er wusste sowieso, wie Jillian darauf reagieren würde. Sie würde ihm vorwerfen, jemanden unbegründet zu verdächtigen, ihn für völlig bescheuert erklären, so etwas Dummes auch nur zu denken, und ihm zweifellos befehlen, die arme, zerbrechliche Rachael in Ruhe zu lassen.
Er blickte hinaus auf den Verkehr und trommelte mit den Fingern auf dem Knie. Wenn er die Unterhaltung während des Lunchs Revue passieren ließ und ein bisschen zwischen den Zeilen las, dann stellte sich jetzt für ihn die Beziehung der beiden Frauen ganz anders dar. Aus Rachaels Perspektive schien sie nicht annähernd so großartig zu sein wie aus Jillians.
Zum Beispiel, ab wann verbittert jemand, der ständig die zweite Geige spielt? Ab wann beschließt so jemand, dass ein kleiner Rachefeldzug angesagt wäre? Insbesondere, wenn er gefühlsmäßig instabil ist.
Als Jillian Brian Hanover abserviert und der sich Rachael zugewendet hatte, sah es für Nolan aus Rachaels Perspektive folgendermaßen aus: Endlich habe ich etwas, was sie wollte. Ich bin die Nummer eins … jedenfalls in Hanovers Augen.
Und jetzt hatte Brian Hanover »ihr Unrecht getan«, öffentlich und in sehr beschämender Weise. Vielleicht gab Rachael Jillian die Schuld an ihrer Trennung. Vielleicht gab sie Jillian die Schuld an vielen Dingen, die schief gelaufen waren in ihrem Leben. Und vielleicht sollte er Ethan und Dallas Feuer unterm Hintern machen wegen des angeforderten Reports über Rachael Hanover und sehen, ob etwas dran war an seinem Verdacht.
Mann, im Moment konnte einfach jeder ihr böser Junge sein – inklusive Lydia mit dem scheuen Blick und den fahrigen Fingern. Und er würde alle Möglichkeiten überprüfen.
»Da sind wir«, sagte Jillian, als der Van vor einem zwielichtigen Motel in der Blue Heron hielt.
Nolan stieg aus und sah sich sorgfältig um in dieser insgesamt heruntergekommenen Gegend. »Netter Puff.«
Jillian marschierte als Erste auf die Moteltür zu. »Ein guter Rat: Wenn Sie sich unbedingt setzen müssen, setzen Sie sich auf einen Holzstuhl, nicht auf einen gepolsterten. Ich möchte nicht, dass Sie mir irgendwelches Ungeziefer ins Haus schleppen.«
Er hielt Jake und Ramón, dem Kameramann und dem Tonmann, die Tür auf, die ihre Ausrüstung wie gute Soldaten geschultert hatten. Eine Kakerlake fiel ihm vor die Füße, als die Tür hinter ihm zuschlug.
»Vom Four Seasons in eine Absteige in weniger als einer Stunde. Du meine Güte. Ich bekomme noch einen Kulturschock.«
Wenn Garrett geglaubt hatte, dass sie lachen würde, hatte er sich getäuscht. Jillian hatte andere Dinge im Kopf.
Als sie über den abgewetzten Flurteppich zum Zimmer Nummer 414 gingen, das John Smith wochenweise gemietet hatte, dachte sie zurück an ihre erste Begegnung. Nie in ihrem Leben hatte sie solche Verzweiflung erlebt.
»Der Vergessene Mann«.
Der Titel, den sie für die Geschichte gewählt hatte, gab sie nicht richtig wieder. Dies war jetzt schon ihr drittes Treffen … und sie war sich nicht sicher, ob sie je ihr Gefühl würde vermitteln können, wenn sie dem Mann in die Augen blickte.
Rachael hatte ihr vorgeworfen, besessen von dem Mann zu sein. In gewisser Weise stimmte das auch. Aber wie sie es betrachtete, war sie eher davon besessen, die Geschichte dieses Mannes zu erzählen. Anfangs hatte sie gezögert zuzugeben, sogar vor sich selbst, dass die schrecklichen Lebensumstände des Mannes etwas in ihrem Inneren berührt hatten. Als Journalistin musste sie auf Distanz und objektiv bleiben.
Als sie ihn das erste Mal angesprochen hatte, ging es nur um die Story. Es ging nur um die Nachricht.
In vielerlei Hinsicht schämte sie sich jetzt deswegen. Sie hatte immer gewusst, wer sie war und was sie wollte, und verfolgte es kompromisslos und hartnäckig. Sie war aggressiv, kämpferisch und völlig fixiert auf ihr Ziel. Ihre Nachrichten waren Mittel zum Zweck, die Plattform, auf der sie ihre Karriere voranbrachte.
Bei John – nun, irgendwann hatten sich die Dinge geändert. Es ging nicht länger um ihre Karriere. Es ging darum – Gott bewahre, dass
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