Wer den Tod begruesst
Hotels stoßen. Zwanzig Meter nach links führte eine Außentür zur Mole. Er folgte seinem Instinkt und lief darauf zu.
Draußen verdeckten langsam segelnde Wolken den Mond. Weniger als zwanzig Meter von der Mole entfernt brachen sich die schäumenden Wellen des Atlantiks krachend am Strand. Hohe Palmen bogen sich im Tropenwind, ihre Palmenwedel klackerten wie Fingernägel auf Glas.
Er rannte zum Rand der Mole und blickte nach rechts, wo grünes Gras und beleuchtete Fußwege zu einem parallel zum Ozean gelegenen Außenpool führten und weiter westlich zu einer Ansammlung von Hotelläden. Zu seiner Linken endete nach ungefähr dreizehn Metern die Mole genau wie der nördlichste Teil des Hotels. Wenn er sich richtig erinnerte, gab es eine schmale asphaltierte Stelle dort, wo Lieferwagen ihre Waren anlieferten.
Wieder ließ er sich von seinem Instinkt und einem nagenden Zweifel leiten, entsicherte seine Beretta und sprintete in die Richtung. Er lief quer über den Rasen auf die nordöstliche Ecke des Hotels zu. Als er sie erreicht hatte, presste er sich mit dem Rücken an die Außenwand, umfasste die Pistole mit beiden Händen und konzentrierte sich.
In dem Moment hörte er es. Leises, erschrecktes Weinen.
Er sprang um die Ecke – und spürte, wie ihm das Herz stehen blieb. »Großer Gott.«
Jillian lag auf dem Boden und sah so leblos aus wie eine Stoffpuppe.
Ihm stockte der Atem. In dem surrealen und trüben Schein der Sicherheitslampe konnte er Blut sehen. Überall. Und über sie gebeugt, hysterisch schluchzend, war Lydia Grace.
»Weg da! Weg da, verdammt noch mal!«
Er rannte zu Jillian, sein Finger lag unruhig auf dem Abzug, als er die Pistole auf Lydia richtete.
Lydia wendete ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu, ihre Hände waren blutverschmiert. »Er … er … oh Gott, er hat sie erstochen. Sie müssen ihn fangen. Sie müssen … oh Gott, oh Gott … Sie müssen etwas tun. Rufen Sie die Ambulanz! Beeilen Sie sich. Bitte … bitte«, schluchzte sie immer lauter. »Beeilen Sie sich, um Gottes willen!«
Wind strich ihm übers Gesicht. Nolan bekam wie von weitem das Heulen von Sirenen im Hintergrund mit, das Quietschen von Reifen auf dem Asphalt, die tanzenden Scheinwerfer in der Dunkelheit. Über allem lagen das entfernte Geräusch von Hubschraubern in der Luft, von Mörserfeuer, das die Nacht erhellte, und von Schreien angeschossener Soldaten.
Er verdrängte es, verdrängte alles bis auf den grausigen Anblick des blutgetränkten Grases, der blutgetränkten Seide, während er in seiner Nähe einen gedämpften Schrei hörte: »Polizei! Bleiben Sie stehen, oder ich schieße!«, und Lydias herzzerreißendes Schluchzen. Sie kniete neben ihm, und ihre blutverschmierten Hände verkrampften sich in ihrem Schoß.
Er hörte alles. Alles, was real und nicht real war, nahm er mit der Klarheit eines lebhaften Traums wahr, aber was er durchlebte, war sein schlimmster Albtraum.
Jillian musste sich den Kopf aufgeschlagen haben, als sie gefallen war. Eine Gehirnerschütterung? Etwas Schlimmeres? Teufel. Da war zu viel Blut. Er musste es stoppen. Er musste sie retten. Er suchte sie mit den Augen, mit den Händen, mit allem in ihm nach der Quelle des Blutes ab, und schließlich fand er sie.
Ihr Oberarm. Himmel. Sein Herz zog sich zusammen bei der Vorstellung, wie sie den Arm hob, um sich zu schützen. Instinktiv. Reflexartig. Wie auch immer, das Messer hatte zwar keine lebenswichtigen Organe, dafür aber eine Arterie getroffen. Ihr Leben war bedroht.
Er zog die Smokingfliege aus der Tasche und band ihr den Arm ab, benutzte sein Handy, um den Druck zu verstärken. Er presste das Ohr auf ihre Brust’und hätte beinahe geheult, als er ihr Herz klopfen hörte und ein schwaches Atmen wahrnahm. Sie stand unter Schock. Der Blutverlust. Herrgott, da war so viel Blut.
»Halte durch, Prinzessin«, flüsterte er und blinzelte die Feuchtigkeit in seinen Augen weg. »Wage es ja nicht, wage es ja nicht, wage es ja nicht, mir wegzusterben.«
»Wir übernehmen jetzt, Mann.«
»Zurück, verdammt noch mal!«, schnauzte er, als Hände seine Schultern packten und ihn wegziehen wollten.
»Garrett. Kommen Sie, Mann. Ist schon okay.«
Eine vertraute autoritäre Stimme erreichte ihn schließlich. Er blickte hoch und sah Detective Laurens, der vor ihm hockte und auf seinen Fußballen balancierte. »Lassen Sie die Sanitäter übernehmen. Lassen Sie sie ihren Job tun.«
Er blinzelte einmal, blickte sich um und nahm wahr, dass ein
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