Wer den Tod begruesst
vorbereitet auf diesen Gefühlsaufruhr. Als er das Bataillon verlassen hatte, hatte er das Militärleben hinter sich gelassen. Die gesamten Regeln. Den gesamten Scheiß. Alle Reue.
Ein großer Teil dieser Reue betraf die Männer, die sich auf ihn verlassen hatten. Es erwischte ihn so schmerzhaft wie erwartet, als er jetzt eine Stimme hörte, die ihn an seinen größten Fehler erinnerte.
Unzählige Szenarien schossen ihm ungeordnet durch den Kopf. Ranger School in Fort Benning. Die Jungs, die sich die ganze Nacht durch Schlamm kämpften und Moskitos zerquetschten nach vielen Stunden ohne Schlaf. First Airborne Ranger Bat und die Jungs der Hardrock Charlie Company. Eine Bar in Atlanta, die sie eines Nachts mit Hilfe der Militärpolizei geschlossen und einen unglaublich sauren Barkeeper zurückgelassen hatten – andere Nächte in Columbus mit schäbigen Frauen in schäbigen Autos und Sixpacks.
Afghanistan.
Irak.
Wo er getan hatte, wofür er ausgebildet worden war: böse Jungs töten und ihre Spielzeuge kaputtmachen.
»Was gibt’s, Wilson?«, fragte er, während das Gewummer der Helikopter, der stechende Sand im Gesicht und der durchdringende Geruch nach Schweiß und Blut und Tod, der in seinem Unterbewusstsein lauerte, von Plowboys Stimme wieder zum Leben erweckt wurden.
»Also, die Sache ist die«, antwortete der Ranger, und im Hintergrund konnte Nolan die dröhnende Rockmusik aus der Musikbox hören und den unmissverständlichen Lärm einer gerammelt vollen Bar. »Ich bin hier.«
Leichtes Entsetzen machte sich in Nolan breit. »Wo ist hier?«
»Hier ist hier. West Palm. Hey!«, brüllte er offensichtlich quer durch den Raum. »Wie heißt dieses nette Etablissement?«
»Nirvana«, gab er nach einer Weile bekannt. »Irgendwo am …«
»Ja. Ich weiß, wo das ist.«
Nolan ließ das Kinn hängen. Umklammerte das Telefon fester. Nirvana war in jüngster Zeit eins seiner Lieblingswasserlöcher gewesen. Diese Kneipe hatte eine Düsternis, die meist genau zu seiner Stimmung passte, und der Ort war gerade gefährlich genug, um einem selbstmörderisch gestimmten Mann seinen Todeswunsch auch erfüllen zu können.
»Was tust du hier in Florida?«
»Wir haben ein paar Wochen frei. Und warum soll ich in meinem verdammten Urlaub beim Bataillon bleiben? Also habe ich mich von Onkel Sam verpisst und beschlossen, meinen Hintern für ein paar Tage zu den Keys zu bewegen, wo die Frauen genauso schlecht sind wie der Schnaps. Sagte dir doch, als ich deine Handynummer wollte, dass ich irgendwann mal auftauchen würde, du elender Mistkerl. Und jetzt setz deinen Arsch in Bewegung und komm her. In etwa zwei Stunden geht mein Flieger, und wir müssen uns unterhalten, Mann. Wir müssen uns dringend unterhalten.«
Panik, so schwer wie Plowboys typischer Midwest-Akzent, ergriff Nolan, der fieberhaft nach einer Ausrede suchte. »Hast mich in einem schlechten Moment erwischt, Kumpel.«
»Scheiße. Weißt du, was ein schlechter Moment ist? Sie haben mich hier bei den Eiern, kapiert? Scheint, dass die Einheimischen es nicht gerade toll finden, wenn wir zuvorkommenden Typen in ihrem Territorium mitmischen wollen.«
Nolan erstarrte. Der Bursche von der Iowa-Farm hatte den Ruf, dass er gern einen über den Durst trank, sich die Schnauze verbrannte und regelmäßig in die Bredouille kam.
»Was hast du angestellt?«
»Tja, das ist es ja gerade. Es geht mehr darum, was sie hier mit mir anstellen wollen, das ist …«
Plowboy wurde das Wort abgeschnitten durch das eindeutige Geräusch eines Faustschlags, der voll getroffen hatte, und dem darauf folgenden Schmerzensgestöhn.
Als er wieder zurück am Telefon war, keuchte er und krächzte: »Ich habe diesen … hirnlosen … Weicheiern … irgendwie versprochen, dass wir … du und ich … ihnen zeigen würden …«
Noch ein dumpfer Schlag – ein weiterer Treffer –, dann schien ein Körper gegen einen Tisch zu krachen. Weiteres Stöhnen im Hintergrund zusammen mit dem ominösen Dong, Dong, Dong des Hörers, der herunterbaumelte und immer wieder gegen die Wand schlug.
Nolan bekam einen Adrenalinstoß, als er mehrere endlose Herzschläge lang wartete, bis sich endlich jemand den Hörer grapschte.
»Nolan, bist du das?«
Er erkannte Charlenes Stimme und spürte einen Hauch von Erleichterung. Char bediente an Wochenenden an der Bar. Die gut vierzigjährige Geschiedene mit der rauen Stimme und Hängebacken wie eine Bulldogge hatte sich noch von keiner Schlägerei, die er im Nirvana
Weitere Kostenlose Bücher