Wer den Tod begruesst
aufstieg.
»Hier ist los, dass Sie den Mund halten und genau das tun müssen, was ich Ihnen sage.«
Inzwischen war sie hellwach, und aus ihrer ursprünglichen Überraschung, die sich zunächst in Angst verwandelt hatte, wurde schnell Irritation. Nein. Sagen wir lieber Ärger. Sie hatte keine Menschenseele im Flur entdeckt. Hatte nichts gehört. Und während ihrer kleinen Tour zum Fahrstuhl hatte er sich auch nicht die Mühe gegeben, sie wovor auch immer abzuschirmen.
»Wenn das eine Übung sein soll«, sagte sie nach Einschätzung der Situation und der Feststellung, dass von drohender Gefahr absolut keine Rede sein konnte, »würde ich mir den Rest lieber schenken, vielen Dank.«
Was sie sich lieber schenken würde, schien ihn nicht die Bohne zu interessieren. Er sagte kein Wort. Langes Schweigen folgte, und die Atmosphäre war bestimmt von der Anspannung, die er ausstrahlte. Und merkwürdigerweise nahm sie ihn zum ersten Mal als den Mann wahr, der sie beschützen würde. Dieses Gefühl war nicht weniger stark als sein Griff an ihren Arm, mit dem er sie über den Flur zog.
Sie konnte an ihm nicht nur Seife und Shampoo riechen, die er mitgebracht haben musste, weil sie völlig anders rochen als die Regenwaldprodukte aus ihrem Gästezimmer, sondern geradezu das Testosteron, die sprungbereite Kraft spüren, als der relativ geräumige Flur auf die Größe eines Mikrochips zusammenschrumpfte.
Jillian war eine trainierte Beobachterin. Das gehörte zu ihrem Job. Und wenn sie nicht gerade total hysterisch war – was ihrer Meinung nach absolut normal war, wenn man aus der Dusche trat und sich einem Mann mit einer Pistole gegenübersah, analysierte ihr Verstand, registrierte und katalogisierte die Einzelheiten sauber und ordentlich zur späteren Verwendung.
Was Details von Nolan Garrett betraf, so konnte man sie kaum gefällig nennen. Genau genommen steckte der Teufel in diesen Details – nichts als rohe Kraft, geballte Männlichkeit und eine ziemliche Portion Gefährlichkeit vervollständigten die Mischung.
Der Fahrstuhl kam schließlich oben an. Die Türen glitten geräuschlos auf und schlossen sich ebenso hinter ihnen.
Sie wusste, dass er nicht gekommen war, um sie zu töten, aber sie ging jede Wette ein, dass er schon getötet hatte. Man mochte sie ja für verrückt halten, aber in ihren Augen war er damit immer noch gefährlich.
Gefallener Engel. Sie blieb bei ihrer ersten Einschätzung.
Die Reporterin in ihr war erwacht und neugierig geworden. Unter anderen Umständen hätte die Frau in ihr vielleicht sogar seine männliche Schönheit geschätzt. Die vollen Lippen, die im Moment zu einem harten, unnachgiebigen Spalt zusammengepresst waren, als er starr geradeaus auf die Fahrstuhlbeleuchtung blickte, waren beunruhigend sinnlich. Sein dunkles Haar war ziemlich lang. Er sah dadurch irgendwie ein bisschen frivol aus – als wäre er gerade aus dem Bett gekommen oder im Begriff, mit jemandem ins Bett zu fallen. Zusammen mit dem dunklen Schatten seines Nachmittagsbartes passte das nicht so recht zu den klaren Gesichtskonturen, dem durchtrainierten Körper und der festen, beinahe militärischen Körperhaltung.
Hoppla. Noch mal zurück. Militärisch.
Bingo.
Jetzt sah sie es. An seiner Hab-Acht-Haltung, an dem federnden Gang seiner kräftigen Beine. Trotz der Lässigkeit, die er ausstrahlte, war klar, dass er ständig bereit war. Der Mann war in permanenter Alarmbereitschaft. Trainiert, zu agieren und zu reagieren. Zu töten oder getötet zu werden.
Wenn sie vorher nur den Verdacht hatte, wusste sie es jetzt mit absoluter Gewissheit. Er hatte getötet. Würde wieder töten. Für sie, wenn es sein musste. Und obgleich sie es nicht wollte – sie wollte wütend und empört sein –, spürte sie das geradezu zwanghafte Bedürfnis, mehr über ihn zu erfahren.
»Spezialeinheit?«, fragte sie in das Schweigen, das inzwischen so zäh wie Sirup war.
Er veränderte seine Blickrichtung leicht und begegnete ihrem Blick. Sah verärgert aus. Und plötzlich lag noch etwas anderes in seinen Augen. Als wäre ihm etwas bewusst geworden. Und zwar sie. Die Tatsache, dass sie Fremde waren und sich allein in einem Fahrstuhl befanden in einer heißen Nacht in Florida – und dass er sie vor nicht mal einer Stunde unter der Dusche gesehen hatte, nackt.
Bevor sie das verfluchte Erröten verhindern konnte, verschloss sich sein Gesicht wieder, und sie fragte sich, ob alles nur Einbildung gewesen war. Und sie hatte immer noch keine
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