Wer den Tod begruesst
keine Gegend, in der man gut träumte. Albträume waren eher die Regel. Albträume und Sünden. Große Sünden. Kleine Sünden. Der Markt war für beide groß genug, nur nicht für Hoffnungen.
In einem spärlich möblierten Zimmer im vierten Stock des Motels lebte John Smith seinen ganz persönlichen Albtraum. Seit achtzehn Monaten büßte er für eine Sünde, die geradezu riesige Ausmaße haben musste. Warum sonst wäre er hier gelandet? Seine Verfehlungen mussten unverzeihlich gewesen sein.
Wenn er nur wüsste, was er getan hatte.
John war ein religiöser Mann. Es war für ihn zwar keine Tatsache. Aber etwas tief in ihm sagte ihm, dass er gläubig wäre. Warum sonst sollte er bei Gott nach Antworten suchen, Gott um Hilfe bitten, Gott dafür verfluchen, dass er sie ihm verwehrte?
Er war ein großer, schlanker Mann und eher unscheinbar bis auf das eisige Grau seiner Augen. Sogar ihm selbst erschienen sie unheimlich leer, wenn er seinem Abbild im Spiegel begegnete und einen Mann sah, der sich nicht an sein früheres Gesicht erinnern konnte.
Die Laken, auf denen er lag, rochen nach Sex und bitterem Bedauern. Die Luft, die er einatmete, roch nach Dunkelheit und Verzweiflung – Dinge, wie er in seinem tiefsten Inneren wusste, die nicht Teil seines Lebens gewesen waren, bevor er alles verloren hatte. Alles, was er gewesen war.
Neben ihm schlief Mary. Auf seinem beinahe leeren Erinnerungskonto war sie noch ein unbeschriebenes Blatt, in anderer Hinsicht aber schon seit langem nicht mehr. Wenn er noch irgendwelches Mitleid spüren würde, hätte er vielleicht bedauert, dass jemand so Junges gleichzeitig so alt und kaputt war. Er wusste nicht, warum sie ihn vor etwas mehr als einer Woche ausgewählt hatte, warum sie weiterhin zu ihm kam. Oder warum sie ihn manchmal unter Tränen bat, ihr wehzutun.
In den Momenten tiefster Verzweiflung interessierte ihn weder das eine noch das andere. Er war ein Nichts. Er war ein Niemand.
Ohne seine Erinnerungen war alles gleichgültig. Wenigstens an seinen besseren Tagen. Es war einfacher so. Einfacher, dass er einmal einen richtigen Namen gehabt hatte, den er zusammen mit den anderen Teilen seines Lebens verloren hatte, als er überfallen und beinahe totgeschlagen worden war. Jetzt hieß er John Smith, dank eines Beamten, der meinte, dass er einen Namen haben sollte.
Der Mann, der John Smith war, hatte einst eine Geburtsurkunde besessen, auf der sein Alter festgehalten war, das die Ärzte auf zwischen vierzig und fünfundvierzig schätzten. Er hatte irgendwo seinen Wohnsitz angemeldet gehabt; dass er fünf Sprachen fließend sprechen konnte, hatte bisher keine neuen Erkenntnisse gebracht. Nur weitere Frustrationen.
Irgendwo hatte er Rechte gehabt. Er war ein Mann gewesen, der reisen und arbeiten und leben konnte, wie er wollte. Jetzt konnte er ohne formelle Genehmigung nirgendwohin. Ohne Identität saß er in der Falle und konnte nicht einmal einen Pass beantragen, sollte er das Bedürfnis haben, wegzugehen und … wohin zu fahren?
Er setzte sich auf, schwang die Füße über die Bettkante und vergrub den Kopf zwischen den Händen. Die Kopfschmerzen waren jetzt nicht mehr ganz so häufig. Aber die Leere war erdrückend.
Er stand auf und ging nackt zum Fenster, das auf die Straße führte. Und starrte hinaus, obgleich er es schon vor langer Zeit aufgegeben hatte, nach Antworten zu suchen.
Er besaß kein Heim, das mit den verstaubten Erinnerungsstücken eines verbrachten Lebens gefüllt war. Er besaß keinen Job, der ihm das Gefühl gab, ein Mensch zu sein, keine Fähigkeiten, die ihm nützlich sein und ihn stützen konnten. Keine Erinnerung jenseits der achtzehn Monate, als er in einem Jupiter-Krankenhaus aufgewacht war.
Der Gangster, der ihn niedergeschlagen hatte, hatte so viel mehr geraubt als nur seine Brieftasche. Er hatte ihm die Identität geraubt. Er hatte sein Leben beendet.
Und doch atmete er noch.
Blutete er noch.
Aber er weinte nicht mehr.
In der Stille der Nacht, mit einem weichen, willigen Körper auf der anderen Seite des Bettes als einzigem greifbarem Beweis, dass er sich in der Wirklichkeit befand, wünschte er sich, einfach sterben zu können.
Aber er war ein Feigling. Also lebte er weiter. Abgestumpft gegen die Ungerechtigkeit. Gefühllos gegen jede Art von Gefühlen. Er hatte seine menschlichen Kontakte auf die animalischen Triebe reduziert, die Mary zuließ. Er erleichterte seinen Körper, ohne seinen Verstand einzuschalten.
Es war ein Weg, um mit
Weitere Kostenlose Bücher