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Wer den Tod begruesst

Wer den Tod begruesst

Titel: Wer den Tod begruesst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cindy Gerard
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dem Verlust weiterleben zu können, den zu therapieren die Ärzte aufgegeben hatten. Er würde sich wahrscheinlich nie wieder erinnern können, hatten sie gesagt. Nicht nach so langer Zeit. Offiziell war er abgeschrieben worden als ein Mann ohne Zukunft, weil er ein Mann ohne Vergangenheit war.
    In der Entfernung konnte er Sirenengeheul hören, das näher kam und dann verschwand. Der im Fenster eingebaute Ventilator blies kaum mehr als lauwarme Luft ins Zimmer. Die verwaschenen, blauen Vorhänge raschelten, und auf dem Bett bewegte sich Mary im Schlaf und wimmerte. Er wusste, dass sie dies tat, weil er sie grob benutzt hatte. Reue kam in seinem eigenen Elend erst an zweiter Stelle. Ein Elend, das noch vergrößert worden war, als er einige Stunden zuvor die Elf-Uhr-Nachrichten gesehen hatte.
    Diese Kincaid mit ihrem Kamerateam, ihrem Aufnahmegerät und den angemalten Lippen hatte alles wieder aufgewühlt. Den Hoffnungsschimmer, den schmerzhaften Wunsch zu wissen. Sie hatte vor einigen Monaten seine Geschichte in der Zeitung gelesen, hatte sie gesagt. Hatte ihn aufgesucht, um ihm zu helfen, hatte sie gesagt. Um seine Geschichte im Fernsehen zu bringen. Hatte sie gesagt.
    Jemand könnte ihn erkennen. Ob er das nicht wollte? Ob er die Chance nicht nutzen wollte, dass ihre Geschichte landesweite Aufmerksamkeit erzeugte und möglicherweise jemanden erreichte, der ihn erkannte? Jemanden, der sich melden und ihm sagen würde, wer er wäre?
    Schmerz pochte in den Schläfen. Sein Herzschlag beschleunigte sich, hämmerte in seiner Brust.
    Ob er das nicht wissen wollte?
    Angst, heftig und schneidend, durchfuhr seinen Körper wie verpestete Luft.
    Ob er das nicht wissen wollte?
    Ja, mit jeder Faser seines Lebens wollte er das wissen. Und gleichzeitig hatte er schreckliche Angst davor, es zu erfahren.
    Das war es, was Jillian Kincaid ihm angetan hatte. Sie hatte die Hoffnung zurückgebracht. Und für John war Hoffnung kein Grund für Hochstimmung und Freude. Hoffnung bedeutete diese entsetzliche neue Sehnsucht nach all dem, was ihm versagt blieb. Hoffnung war grausam. Hoffnung züchtete Wahnsinn.
    Jillian Kincaid mit ihrer Macht und ihrem Ehrgeiz hatte nicht seine Rettung gesucht, sondern Ruhm für sich selbst.
    Ihr war es gleichgültig, dass sein Leiden neu begonnen hatte an dem Tag, als sie ihn angesprochen hatte. Sie hatte mit ihrer Kamera und ihren Mikrofonen fieberhaft das völlige Nichts seiner Existenz aufgerührt und ihn angefleht, sich vor laufender Kamera von ihr interviewen zu lassen. Für ihre Dokumentation »Der vergessene Mann«.
    Er atmete tief ein. Riss sich zusammen und drehte sich um zu der Frau auf dem Bett.
    Mary bot ihm Erleichterung an inmitten dieser Trostlosigkeit. Vorübergehend. Flüchtig. Er hatte ihr nicht geglaubt, als sie ihm gesagt hatte, dass er jemand sei – jemand Wichtiges, jemand Lebenswichtiges –, und er hasste Jillian Kincaid für ihre unablässigen Fragen, ihr enervierendes Schweigen, das ihn dazu gezwungen hatte, es zu füllen und von seinem Verlust und seiner Verzweiflung zu sprechen.
    Sie besaß eine gleichgültige Grausamkeit.
    Er nicht.
    So wie er nicht gleichgültig grausam war, als er Mary wachrüttelte und sie erneut so lange benutzte, bis sie ihn anflehte aufzuhören.

8
    Angesichts der Tatsache, dass sie in der vergangenen Nacht nicht genug Wein getrunken hatte, um auch nur die Andeutung eines Kopfschmerzes verdient zu haben, reagierte Jillian äußerst ungnädig auf das schmerzhafte Pochen hinter den Augenlidern, als sie sich Samstagmorgen um halb acht aus dem Bett schwang.
    Um einem weiteren Tag mit ihrem Bodyguard entgegenzusehen.
    Was für ein Vergnügen.
    Grimmig und missmutig ging sie direkt ins Bad und redete sich gut zu, es irgendwie auszuhalten. Unabhängig davon, ob dieser Verrückte ihr nur einen Schreck einjagen wollte, was sie immer noch fest glaubte, oder ob er es tatsächlich ernst meinte, was sie nicht glaubte, konnte sie es einfach nicht zulassen, dass Garrett in der Zwischenzeit ihr Leben auf den Kopf stellte. Geschwindigkeitsüberschreitungen, Biker-Bars und blutige Ranger ungeachtet.
    Und nicht zu vergessen der traumhafte Body, erinnerte ihre Libido sie schnell noch, bevor sie die Erinnerung an Nolan Garrett, nass von der Dusche und nackt bis zur Taille im frühen Dämmerlicht ihrer Küche, gelöscht hatte.
    »Oh, vergessen wir’s«, murmelte sie genervt und war fest entschlossen, das Begehren, das von der immer noch vorhandenen erotischen Spannung der

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