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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Fremde haben Sie
miteinander gelebt. Warum haben sie sich nicht scheiden lassen? Wer oder was
hat die beiden davon abgehalten? Das Kind war ja nur vorübergehend im Haushalt,
wenn ich das so sagen darf. Was dann? Bei ihm ist mir das klar. Ein paar Krumen
vom Erbschaftskuchen wären auf jeden Fall irgendwann auf seinen Tisch gefallen.
Spätestens, wenn Vater Labouchère die Kuchengabel abgegeben hätte. Immerhin ist sein Schwiegervater zehn oder zwölf Jahre älter als er.
Für Désiris war Scheidung also kein Thema. Und Jeanne? Verstieß sie den
Gedanken an Verstoßung? Streng, wie sie erzogen war? Vielleicht war auch ihr
erstes Liebeserlebnis so überwältigend gewesen, daß sie den Mann immer noch
liebte, obwohl er ihr darüberhinaus nichts mehr bedeutete.
    Nach diesen Gedankenspielen komme auch
ich wieder auf die Erde zurück und erinnere mich an Marc Covets Informationen.
    „Hab mir sagen lassen, daß Désiris
Erfinder war. Solche Leute sind ja immer mehr oder weniger verrückt.“
    Labouchère zuckt die Achseln.
    „Er war weder Erfinder noch verrückt“,
sagt er. „Ingenieur war er, ziemlich fähig sogar. Hat sich immer beklagt, daß
seine verschiedenen Arbeitgeber seine Ideen nicht aufgegriffen haben. Dummes
Geschwätz! Aber genug geredet von ihm... Ich wollte nur wissen, welcher Art
Ihre Beziehung zu meiner Tochter war.“
    „Wie gesagt: Ich kann nur vermuten, daß
sie sich von ihrem Mann bedroht fühlte. Und da sie sich weder der Polizei noch
Ihnen anvertrauen wollte, hat sie mich angerufen.“
    „Haben Sie sie am Telefon so
verstanden?“
    „Nein, das hab ich aus dem Schauspiel
gefolgert, das sich mir gestern morgen geboten hat.
Was Ihre Tochter mir am Telefon gesagt hat, schien mir nicht sehr... äh...
glaubhaft.“
    „Was hat sie gesagt?“
    „Sie hat von plötzlichem Vermögen
gesprochen, von mysteriösen Einkünften. Und ob ich rauskriegen könne, woher
solche Einkünfte kämen, hat sie mich gefragt.“
    Labouchère reibt sich wieder das Kinn.
    „Hm... Ich weiß wirklich nicht, was
sie damit gemeint haben könnte... Hm... Warten Sie... Désiris arbeitete seit
einigen Monaten nicht mehr bei Dugat. Jeanne hat damals angedeutet, es gebe
eine Veränderung im Leben ihres Mannes. Aber alles, was meinen Schwiegersohn
betraf, hat mich nicht interessiert. Ich hab Jeanne nur immer geraten, sich
scheiden zu lassen. Aber sie wollte nicht. Soll sie alleine damit
zurechtkommen, hab ich mir gesagt. Ich wollte nichts davon wissen... Also, er
hatte bei Dugat gekündigt und...“ Er deutet ein Lächeln an. „Den Rest hab ich
durch die Polizei erfahren. Hab so getan, als wüßte ich Bescheid. Also, er hat
sich eine Werkstatt auf der Île de la Grande-Jatte gekauft, um sich selbständig
zu machen. Letzten Dezember hat er zwei Arbeiter eingestellt. Frag mich, was er
in dieser Werkstatt produzieren wollte...“
    „Vielleicht geisterte ihm ‘ne
Erfindung im Kopf rum“, tippe ich.
    Außer einem skeptischen „Hm“ kommt
keine Antwort. Dann fährt Labouchère fort:
    „Als Jeanne mir erzählte, daß er nicht
mehr bei Dugat war, hab ich mich gefragt: Wovon will er jetzt leben? Wird wohl
bald kommen, um mich anzupumpen. Schließlich brauchte er Geld für seine
Firmengründung. Wenn auch keine Unsummen, aber trotzdem... Aber er kam nicht.“
    „Vielleicht hatte er geerbt?“
    „Ausgeschlossen. Er war ohne Familie.“
    „Ach!“
    Komisch! Ohne Familie... Dann fiel
jetzt wohl dem Schwiegervater das eventuelle Firmenkapital als Erbschaft zu?
Ironie des Schicksals!
    „Er mußte sich also Kapital besorgen“,
kombiniert mein Gegenüber weiter. „Glauben Sie, daß meine Tochter über dieses
unverhoffte Kapital mit Ihnen sprechen wollte?“
    „Kann schon sein. Allerdings, wenn er
sich das schon vor einigen Monaten besorgt hatte...“
    „Tja... stimmt. Es sei denn, sie hat
es erst vor kurzem erfahren. Was genau hat sie Ihnen am Telefon gesagt?“
    Ich wiederhole noch einmal Madame
Désiris Worte. Dann versinken wir beide in nachdenkliches Schweigen. Irgendwann
merken wir, daß wir uns nichts mehr zu sagen haben. Ich stehe auf.
    „Dann bleibt mir nur noch, Ihnen die
Kosten zu erstatten, die Sie durch den Anruf meiner Tochter hatten“, sagt
Monsieur Labouchère zum Abschied.
     
    * * *
     
    Die Tage verstreichen. „Die blutige
Tat in der Rue Alphonse-de-Neuville“, wie sie von den Zeitungen genannt wurde,
gerät langsam in Vergessenheit. Die polizeilichen Ermittlungen sind zügig
abgeschlossen worden. Es gab auch

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