Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
keinen Grund, daß sie sich länger hingezogen
hätten. Ergebnis: Jeanne Désiris ist von ihrem Mann ermordet worden, der dann
Selbstmord begangen hat. Einer der beiden Arbeiter des kleinen Unternehmens auf
der Île de la Grande-Jatte, ein Araber, hat sich in Luft aufgelöst. Vielleicht
vom F.L.N. oder vom M.N.A. verschluckt.
Die Befragung des anderen Arbeiters hat nichts Sensationelles ergeben. Sein
Chef arbeitete anscheinend an einem neuen Motorentyp. Zwei Punkte bleiben im dunkeln und werden es vermutlich immer bleiben: die Motive
für die Tragödie und die Herkunft von über einer Million auf dem Bankkonto des
Verstorbenen, die jetzt wohl tatsächlich dem Konto des Schwiegervaters
gutgeschrieben wird. Hatte Désiris Ersparnisse? Mit solchen Kleinigkeiten gibt
sich die Polizei nicht ab. Sie hat noch andere Leichen im Keller. Florimond
Faroux und seine Spürhunde haben in der Tat alle Hände voll zu tun. Eine
zerstückelte Frau in Châtillon, einen Steinwurf vom Kernreaktor entfernt. Ein
Banküberfall in der Rue Vivienne, bei dem der Kassierer getötet wurde. Eine Abrechnung
in der Unterwelt von Montmartre. Der mysteriöse Mord mit vorausgegangener
Folter an einer Frau, die in Verdacht stand, die Komplizin der Schmugglerbande
von Sar-fotti gewesen zu sein. Diese pfiffigen Gangster, für die sich mein
Freund Marc Covet extra nach Marseille begeben hat, haben ihre Ware in einem
U-Boot von Tanger an Frankreichs Mittelmeerküste transportiert. Die Zollbeamten
haben ein ziemlich dummes Gesicht gemacht. All diese Fälle kann man in dem
ausgezeichneten Buch von Roger May und Nik Sanders nachlesen, Schwere Waffen
und leichte Mädchen. Und da ist auch noch der Mord an der pensionierten
Siegelbewahrerin, der letzten noch lebenden dieser Art, einem wahren
Museumsstück. Die Frau war übrigens ein Mann, der sich sechzig Jahre lang
verkleidet hat. Auch ein interessanter Fall. Mit anderen Worten, Mörder und
Diebe sind in diesem Frühling keine Mangelware. Sie
strotzen vor Gesundheit, spucken Feuer, sprühen vor Temperament.
Aber auch ich kann mich nicht
beklagen. Ehebrecherische Familienväter, untreue Buchhalter usw. usw. Désiris?
Kein Wort mehr darüber.
Kein Wort? Von wegen! An einem schönen
Apriltag lese ich in der Abendausgabe des Crépuscule die fettgedruckte
Überschrift:
DIE WIRKLICHEN HINTERGRÜNDE DES
SELBSTMORDS VON CHARLES DÉSIRIS
DAS DRAMA DES ERFINDERS
Der Artikel stammt von Marc Covet. Ich
erfahre, daß Désiris einen „revolutionären Motor“ erfunden hatte oder erfinden
wollte. Die Erfindung hatte er einem Gremium vorgelegt, das seine Idee nicht so
überwältigend fand wie er. Zur endgültigen Entwicklung fehlten einfach wichtige
Vorarbeiten.
Verzweifelt über seine geringen
erfinderischen Fähigkeiten, fuhr
Covet in seinem Artikel fort, hat der Ingenieur sich selbst und seine junge
Frau umgebracht. Möglicherweise war Madame Désiris damit einverstanden.
Vielleicht aber ist der Tote durch seinen Mißerfolg verrückt geworden und hat
sich an einer Unschuldigen für die Ablehnung seiner Erfindung gerächt.
Ich rufe Marc Covet im Créspuscule an.
„Sie interessieren sich also für
Désiris“, stelle ich fest.
„Durch Ihre Schuld. Wenn Sie nicht
darin verwickelt wären, hätte ich den Selbstmord nicht weiter ausgeschlachtet.“
„Ich bin nicht darin verwickelt.“
„Das haben Sie behauptet“, erwidert
Covet. „Aber ich hab Ihnen nicht geglaubt. Irrtum meinerseits, o.k. Immerhin
ist daraus ‘n ganz hübscher Artikel geworden, nicht wahr? Und ein plausibles
Motiv für den Selbstmord hab ich auch geliefert...“
„Das mit der Erfindung, ist das ‘ne
Erfindung von Ihnen?“
„Ja und nein.“
„Wie meinen Sie das?“
„Désiris hatte die Basis für die
Erfindung eines neuen Motors geschaffen. Nach Expertenmeinung kein schlechter
Ausgangspunkt. Aber um die Entwicklung weiter- und zu Ende zu führen... Désiris
war am Ende, und das habe ich durch meinen Artikel zum Ausdruck gebracht. Die
Geschichte eines fähigen Mannes, der seine geistigen Kräfte schwinden sieht,
ist spektakulärer als ein gemeiner Betrug. Und ich kann Ihnen versichern:
Unsere Leser wollen noch mehr davon!“
„Betrug?“
„Ja. Unser Désiris war nebenberuflich wohl
auch ‘n kleiner Betrüger. Hat versucht, Leute anzupumpen, um seine Idee zu
entwickeln. Doch sein Plan geht leider den Bach runter. Die Verhandlungen
scheitern, aber das gepumpte Geld liegt auf seinem Konto. Und der oder die
Geprellten geben
Weitere Kostenlose Bücher