Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Bourgeoisie,
wie im 17. Arrondissement so häufig anzutreffen.
    Erst recht in der Rue Henri Rochefort
unweit des Parc Monceau, dessen Stimmung Kurt Tucholsky so trefflich
eingefangen hat.
    Tucholsky, der 1924 Berlin verlassen
hatte, „um von seinem Vaterlande auszuruhen“, war als Korrespondent der
„Weltbühne“ und der „Vossischen Zeitung“ nach Paris gekommen, wo er rastlos und
lärmgepeinigt Jahr für Jahr seine Wohnung wechselte und schließlich vor seiner
Übersiedlung nach Schweden zuletzt ein tristes Appartement an der Place de
Wagram mietete.

    Zurück zur Rue Henri Rochefort. Auch
hier macht es Malet dem Nachgänger leicht:
    „ Hinter
diesen eleganten Mauern verbringt also die alte Hetäre ihren wohlverdienten Lebensabend.
Das aufwendige Haus stinkt geradezu nach Geld. “
    Nun ja, das läßt sich heute, gemessen
an den Immobilienpreisen, fast für ganz Paris sagen. Aber ein bißchen vom Glanz
der frühen Jahre ist schon noch geblieben.
    Zwei Anmerkungen noch zur Nachbarschaft.
In der Rue de Chazelles entstand vor gut hundert Jahren nach den Plänen des
elsässischen Bildhauers Bartholdi die Freiheitsstatue, das heutige Wahrzeichen
von New York, als Präsent der französischen Regierung an die Vereinigten
Staaten zum Jubiläum der hundertjährigen Unabhängigkeit. Eine kleinere Kopie
steht heute auf einer Insel inmitten der Seine (siehe Léo Malet, „Das stille
Gold der alten Dame“). Und am Boulevard de Courcelles wohnte ein gewisser
Fulgence Bienvenüe, dem Paris letztendlich verdankt, daß es nicht längst im
Chaos versunken ist. Parisbesuchern wird an der Metrostation Montparnasse
bereits der Zusatz „bienvenüe“ aufgefallen sein, und sie werden es als eine
nette, wenn auch ziemlich willkürlich gewählte Geste ansehen, ausgerechnet an diesem
lärmigen Platz willkommen geheißen zu werden. Nun, Monsieur Bienvenüe (man
achte auf die beiden Punkte auf dem u) war der Erbauer der Pariser Metro. Heute
zählt der Nahverkehr in Paris Tag für Tag rund fünf Millionen Fahrgäste, die
meisten als Benutzer der Schnellbahn.
    Ein letzter Abstecher führt mich zur
Place Malesherbes. Dort finde ich nicht nur die bereits zitierte Sarah
Bernhardt als eigenwillig gestaltete Statue in ihrer Rolle als Phèdre wieder,
sondern auch die Standbilder der beiden Dumas’. Alexandre Dumas, der ältere,
hatte seinem Sohn erzählt, in einem Traum habe er sich auf dem Gipfel eines
Felsens wiedergefunden, von dem jeder Stein die Form eines seiner literarischen
Figuren angenommen hatte. Der Maler Gustave Doré nahm diesen Traum zum Anlaß,
ein heute etwas schwülstig wirkendes Monument nachzugestalten.

    Was dem Vater recht war, sollte dem
Sohn billig sein. Der bekam nämlich seine berühmteste Schöpfung, die
Kameliendame, zugesellt. Womit — läßt man den Nachgang durch dieses dem
Touristen kaum vertraute Viertel von Paris Revue passieren und will man den
Abenteuern von Nestor Burma Glauben schenken — fast der Eindruck entsteht,
leichtlebige Damen fühlten sich im 17. Arrondissement heimischer als sonstwo.
Aber dies zu ergründen, zählt wohl wirklich zu den ältesten Geheimnissen von
Paris.
     
    Peter Stephan im September 1988

Anmerkungen
des Übersetzers
     
    Bei allen
Geldbeträgen, von denen im Laufe dieses Romans die Rede ist, handelt es sich um
Alte Franc.
     
    1. Kapitel:
    Akquisiteur von
Borniol : Bekanntes
Beerdigungsinstitut in Paris. Diese Mademoiselle Des Oeillets
roch nicht grade wie eine Rose : oeillet (frz.) = Nelke.
    Tour Pointue : Polizeidienststelle im Palais de Justice am Quai de FHorloge.
     
    2. Kapitel:
    F.L.N. (Front de libération
nationale): Nationale
Befreiungsfront.
    M.N.A. (Mouvement National
de l’Arabe): Arabische
Befreiungsbewegung.
     
    11. Kapitel:
    die Gorgo : Weibliches Ungeheuer
der griechischen Sage.
    Prixunic : Bekannte
Supermarktkette.
     
    15. Kapitel:
    die Santé : Zentralgefängnis in
Paris.

Straßenverzeichnis
     
g 9
Rue Alphonse-de-Neuville
G 12
Boulevard des Batignolles
G 7-H 8
Rue Bayen
F 8- E 10
Boulevard Berthier
G 13
Rue Biot
g 9
Place du Brésil
G 13
Place Clichy
F 8-H 9
Rue de Courcelles
G 6
Boulevard de Dixmude
G 6
Rue du Dobropol
H 14
Rue Duperré (9. Arrondissement)
I 8
Place de
l’Etoile (heute: Pl. Charles
de Gaulle)
H 14
Rue Fontaine ( 9 . Arrondissement)
H 6-G 7
Boulevard Gouvion-Saint-Gyr
I 6/7
Avenue de la
Grand-Armée
H 10
Rue Henri-Rochefort
G 11-F 12
Rue Legendre
H 5
Avenue de Neuilly
G/H 8
Avenue Niel
F9-H7
Boulevard Pereire
g 7
Avenue de la