Wer glaubt schon an Vampire? (German Edition)
oder wo sich die Maske im Moment befand. Genau solche Vorkommnisse aber waren es, die das Interesse von Emmis Großvater weckten. Er war ein Forscher wie er im Buche stand und weit davon entfernt verwirrt zu sein. Der Hang zur Exzentrik machte ihn nicht unbedingt beliebt, aber damit konnte Emmi und er leben.
Johannes Myrthe war immer noch ein hoch gewachsener Mann mit deutlich schottischer Abstammung. Sein rotes Haar war mit der Zeit weiß geworden und seine Haut faltig, aber seine stolze Haltung machte aus ihm noch heute eine beeindruckende Erscheinung. Was nichts daran änderte, dass die Leute ihn für einen komischen Kauz hielten. Er war ein Querdenker auf allen Linien, vernachlässigte absichtlich seinen Garten, um das Unkraut wuchern zu sehen, aß zu viel Junkfood und trank reichlich schottischen Whiskey, um den Ärzten eins auszuwischen. Die Menschen mieden ihn und er die Menschen, aber niemand wusste etwas über seine überdurchschnittlich hohe Intelligenz und über seinen Reichtum. Denn, allem Anschein und jedem Geiz zum Trotz, hatte er Geld, Geld und nochmals Geld.
Emmeline machte sich sehr zeitig auf den Weg zum Frühstücksraum. Sie wollte keinen Trubel am Morgen und genoss es, eine der Ersten zu sein. Auf gesalzene Butter und labbriges Weißbrot hatte sie sich schon eingestellt, aber mit Eierspeise und leckeren Würstchen hatte sie nicht gerechnet. Der Duft alleine war schon eine Bereicherung und versetzte sie in Hochstimmung. Schon immer hatte sie Salziges vor Süßem bevorzugt – auch beim Frühstück. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen schubberte sie sich eine ordentliche Portion Eierspeise mit Würstchen auf ihren Teller und schnupperte genussvoll daran. In Gedanken war sie bereits beim ersten Bissen, als ein dunkler Schatten hinter ihr auftauchte.
„Na? Essen Sie neuerdings mit der Nase?“, höhnte der Mann mit tiefer Stimme und Emmi fuhr herum. Er, schon wieder!
„Allmählich glaube ich, dass Sie mich verfolgen, Werteste. Und überhaupt ... was machen sie eigentlich in Lissabon?“, fragte der unverschämte Kerl aus dem Flugzeug, der offenbar eine teuflische Freude daran hatte sie zu erschrecken und anzupöbeln. Doch auf einen Quickie der streitbaren Art hatte Emmi keine Lust. So tat sie das einzig Richtige und ... ignorierte ihn. Nicht einmal einen zweiten Blick gönnte sie ihm, kein Zittern der Lippen oder gar geballte Fäuste. Sie bewunderte sich für ihre Selbstbeherrschung und genoss es, ohne Antwort an ihm vorbei zu gehen, zurück zu ihrem Tisch. Worüber sollte sie sich auch mit einem brutalen Entführer und Spinner unterhalten? Etwa über die mangelnde Vielfalt am Buffet und den Vorschlag für gelbstichige Bestien rohe Steaks zu servieren? Ein dezentes Schnauben bestätigte ihr, dass ihre Taktik aufging.
Punkt für mich! ... dachte sie zufrieden, denn der Mann war ziemlich frustriert zurückgeblieben. Wobei ihr „zurückgeblieben“ in diesem Zusammenhang mehr als treffend erschien. Lächelnd setzte sie sich an ihren Tisch und widmete sich endlich ihrem Frühstück. Mit der Zeit vergaß sie den finsteren Typen und begann ihr Essen richtig zu genießen, ebenso wie den schwärzesten Kaffee, den sie je gesehen hatte. Irgendwann blickte sie freilich schon durch den Raum, um den Störenfried zu suchen. Schließlich konnte man nur gezielt ignorieren, wenn man überhaupt wusste, wo sich der Gegner befand. Doch entweder war er der schnellste Esser der Welt oder er hatte sich beleidigt zurückgezogen und erst gar nicht gefrühstückt.
Aber das soll mir nur recht sein! ... dachte sie und stocherte wüst in ihrer Eierspeise herum. Je weniger sie mit dem düsteren Kerl zu tun hatte, desto eher und konzentrierter konnte sie sich ihrer Arbeit widmen.
Schon eine Stunde nach ihrem herrlichen Frühstück saß sie in einer der 27 städtischen Straßenbahnlinien von Lissabon. Die Linie 8 war legendär für ihre Fahrt durch schmalstes Gassenwerk und stellenweise mussten selbst Fußgänger in Hauseingänge flüchten, um den Schienenfahrzeugen auszuweichen. Für Emmi war es zwar ein kleiner Umweg, aber die Fahrt mit dieser Linie gönnte sie sich.
Eine halbe Stunde später stieg sie bei einer der drei Seilbahnen Lissabons aus und fuhr Richtung Gloria, um zum Bairro Alto zu gelangen, dem ältesten Stadtteil Lissabons. Dieser Teil war früher der Stadtteil der Reichen gewesen, hatte sich aber im Laufe der Zeit allmählich zum Stadtviertel der Kreativen und Künstler gewandelt. Genau dort
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