Wer hat Angst vor Beowulf?
solche Menschen. Ich persönlich freue mich nicht übermäßig über die Aussicht, nach Walhalla zu gehen, aber ich hab keine große Wahl.«
»Werde ich euch dort wiedersehen?« fragte Hildy plötzlich. »Ich meine, wenn es soweit ist?«
»Keine Ahnung. Aber ich würde mich nicht beeilen, das herauszufinden.«
»Keine Sorge, das werde ich schon nicht tun«, antwortete Hildy lächelnd. »Ich glaube, ich hab in letzter Zeit genug Abenteuer erlebt. Und ich weiß auch schon, was ich demnächst mache. Ich werde die Saga, die Arvarodd mir gegeben hat, veröffentlichen und mich so zur unangefochtenen Autorität auf dem Gebiet des skandinavischen Heldenzeitalters mausern. Noch bevor ich dreißig bin, wird man mir eine volle Professorenstelle anbieten.«
»Ist das etwas Gutes?«
»Ich denke schon. Jedenfalls hab ich alles das in nächster Zeit vor. Und ich glaube, daß ich meine Pläne nun sehr viel besser realisieren kann. Jetzt, da ich weiß, wie es damals wirklich war.«
»Wie war es denn wirklich, Vel-Hilda?«
»Einfach wie alles andere auch«, fuhr Hildy fort. »Nur gab es damals sehr viel weniger Menschen, und deshalb spielten ihre Taten zu jener Zeit eine größere Rolle.«
»So könnte man das ausdrücken.«
»Und genau das werde ich auch tun«, versicherte Hildy ihm, »allerdings mit jeder Menge Fußnoten. Natürlich kann ich nichts von der Zauberei erzählen, deshalb werden die meisten meiner wissenschaftlichen Erklärungen überhaupt nicht der Wahrheit entsprechen. Euch macht das hoffentlich nichts aus, oder?«
»Mir ist das gleich«, sagte König Hrolf.
»Natürlich wird es ganz schön komisch für mich sein, wenn ich eine Vorlesung über Bothvar Bjarki halte und darüber spekuliere, ob er wirklich nur ein Sonnengott-Motiv aus der frühen indoeuropäischen Mythologie war.«
»Und war er das?«
»Zweifellos, es gibt jedenfalls überzeugende Parallelen.«
»Das werde ich ihm sagen. Das macht ihn bestimmt fuchsteufelswild.«
»Mit dir ist es vermutlich dasselbe. Oder du bist eine Mischung aus mehreren pseudohistorischen frühen Dynastien, durch mündliche Überlieferung und von den Chronisten aufs Wesentliche reduziert. Deine Taten sind lediglich eine Reihe erfundener Stammesunruhen in der Zeit der Völkerwanderungen, und es gibt für dich keine echte, auf historischen Tatsachen beruhende Grundlage.«
»Danke, Vel-Hilda, das ist das Netteste, was je über mich gesagt wurde.«
»Und was ist mit mir?« fragte der Zaubererkönig neugierig, der sich aus der Reihe vor ihnen nach hinten beugte.
»Ach, Sie sind lediglich eine Personifikation schlechter Ernten und verschiedener Viehseuchen«, klärte Hildy ihn auf. »An Sie wird niemals jemand glauben.«
»Ich glaube an mich«, wandte der Zaubererkönig ein.
»Dann guck dir doch an, wo dich das hingebracht hat«, sagte König Hrolf.
»Du hast ja recht«, pflichtete ihm der Zaubererkönig bei. »Aber komme ich nicht mal in Arvarodds Saga vor?«
»Wie er mir selbst gesagt hat, ist sie stark von der Fornaldarsögur- Tradition beeinflußt. Sie kommen nur symbolisch drin vor.«
»Rein allegorisch?«
»Rein.«
»Na gut. Wie wär’s eigentlich mit einem kleinen Spielchen?«
»Später«, sagte der König.
Der Zaubererkönig drehte sich wieder um und kraulte den Wolf hinter dem Ohr. Klecks knurrte resigniert.
»Irgendwie ist das traurig«, sinnierte König Hrolf. »Es hätte mir wirklich nichts ausgemacht, vergessen zu werden, aber ich bin überhaupt nicht scharf darauf, daß man mich auch noch um den Ruhm bringt.«
»Menschen sterben, Vieh stirbt, nur glorreiche Taten leben für immer weiter«, zitierte Hildy. »Es ist nur so, daß die Menschen es heutzutage hassen, etwas auf sich beruhen zu lassen. Sie können es einfach nicht ertragen, wenn irgend etwas als edelmütig und großartig angesehen wird. Aber wer weiß? Vielleicht glaubt man ja in ein paar hundert Jahren oder so wieder an die alten Geschichten. Das wäre doch schön, oder?«
»Wie ich bereits gesagt hab«, antwortete der König, »mir ist das egal. Am Hofe meines Vaters gab es einen Mann, der in seiner Jugend ein sehr großer Held gewesen war. Er gehörte zu König Athils und tötete Eisriesen. Er hat sogar mit Thor persönlich Ringkämpfe ausgefochten. Unglücklicherweise beging er den Fehler, seine Abenteuer zu überleben und alt zu werden. Niemand glaubte daran, daß er noch am Leben war, und wenn er von den Taten seiner Jugend erzählte, dachten die Leute immer, er hätte den Verstand
Weitere Kostenlose Bücher