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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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deine Schuld. Du warst es nicht. Wir wissen
überhaupt nichts
, Jasper. Wir wissen auch nicht, ob Mad Jack Lionel wirklich dahintersteckt. Wir wissen nicht mal, ob Laura allein war, als sie ihr Zimmer verlassen hat. Das ist bloß etwas, was wir uns einreden.»
    Jasper seufzt. «Du hörst mir nicht zu, Charlie. Wenn ich bei Laura gewesen wäre, wie ich es hätte sein sollen, dann wär die Sache nie passiert.»
    «Schon gut. Aber nicht mal das wissen wir. Außerdem kann man das so nicht sagen. Deswegen bist du noch lange nicht schuld. Tatsache ist doch, dass du es nicht ahnen konntest. Wie auch? Nach deiner Logik wäre jedes schreckliche Ereignis auf der Welt deine Schuld, weil du es nicht verhindert hast. Dann hättest du auch Kennedy davon abraten müssen, in einem Cabriolet zu fahren.»
    Jasper schüttelt den Kopf. «Das ist was anderes. Dafür kann ich nichts, weil sich diese Menschen nie auf mich verlassen haben, so wie es eine Familie tun würde. Also habe ich sie auch nicht im Stich gelassen. Aber Laura hab ich im Stich gelassen. Ich hätte früher zurückkommen oder ihr einen Brief dalassen müssen. Ich hätte wissen müssen, dass sie hier nach mir suchen wird. Und das ist meine Schuld, genau wie alles, was danach kam. Es war … meine
Pflicht
, sie zu beschützen, ihr zu helfen.»
    «Sie zu beschützen? Vor was?»
    «Nix. Vergiss es.» Jasper schnieft und seufzt auf eine Art, die deutlich macht, dass er nicht bereit ist weiterzureden. Stirnrunzelnd schüttelt er die nächste Zigarette aus der Packung und zündet sie an.
    Das verdrießt mich. Ich habe das Gefühl, dass er mir etwas vorenthält. Ich hänge immer einen Schritt hinterher. Hinter Eliza, Jasper, meinem Vater. Ich kann durch die Dunkelheit stiefeln, sehe aber immer nur so weit, wie die tropfende Kerze es mir erlaubt. Ich kenne nur das Ende, den Teil, wo ich ins Spiel gekommen bin. Doch der Rest der Geschichte, all die vorangegangenen Teile, ist nach wie vor nur ein Haufen herausgerissener Blätter. Ich komme mir so hilflos und hoffnungslos vor. Ich bin so klein und schwach in diesem Strudel, in seinen finsteren Ausläufern. Ich frage mich, ob wir es je mit Gewissheit herausfinden werden und wie viel ich auf Jasper und seine Behauptungen geben soll. Es ganz und gar auf den Einsiedler mit der zwielichtigen Vergangenheit zu schieben ist natürlich eine verlockende Vorstellung. Doch sie enthält so viele Zufälligkeiten. Es erscheint mir einfach zu bequem. Andererseits ist die einfachste Antwort vielleicht tatsächlich die zutreffendste. Wieder frage ich mich, ob Jasper wirklich meine Hilfe braucht. War er auf der Suche nach Atticus Finch oder nach Tom Sawyer, als er an mein Fenster kam? Suchte er einen Verstand oder einen Verbündeten? Oder vielleicht beides?
    Ich weiß es nicht.
    Wir schweigen eine Weile. Ich stelle keine weiteren Fragen. Trinke aber noch etwas Whiskey.
    Nach einiger Zeit regt sich Jasper und hebt den Kopf.
    «Glaubst du, sie kriegen wirklich einen Mann auf den Mond?»
    «Das behaupten sie jedenfalls.»
    «Kommt einem unmöglich vor, nicht?»
    «Absolut», sage ich. «Wir kommen nicht mal runter zum Meeresboden, geschweige denn bis hoch auf den Mond.»
    «Ich glaub trotzdem, dass sie es schaffen, weißt du», sagt Jasper mit einem kleinen Lächeln und einem Kopfschütteln. «Ich glaub, dass sie hinkommen. Stell dir das mal vor.»
    «Das wäre schon was», stimme ich ihm zu.
    «Weißt du, Charlie», sagt Jasper und kratzt sich am Knöchel, «mir ist wirklich schleierhaft, wie Leute zum Mond hochsehen und sich immer noch einbilden können, sie wären der
Mittelpunkt
von allem. Wenn ich hier manchmal hocke und alles auf mich einwirken lasse, fühl ich mich wie ein winziges Staubkorn im Universum. Wie ein Nichts. Das ist ein einsames Gefühl, aber es macht mich auch glücklich.»
    «Wie meinst du das mit dem Mittelpunkt von allem?»
    «Laura hat mir mal erzählt, sie würden davon ausgehen, dass es im Lauf der Geschichte schon über hundert Milliarden Menschen auf der Erde gegeben hat. Hundert Milliarden sind gekommen und gegangen, haben ihr Leben gelebt, bevor wir kamen. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Aber wenn man drüber nachdenkt, wird einem klar, wie dumm es ist, sich einzubilden, man hätte dieses Fleckchen Erde hier entdeckt und es würde einem gehören. Wenn man nicht gerade der glückliche Kerl ist, der als Erster den Fuß auf den Mond setzt, kommt es mir ziemlich dumm vor, zu behaupten, dass einem dies oder jenes

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