Wer hat Angst vor Jasper Jones?
mitgehen lasse. Ich bin auf mich selbst gestellt, und ich weiß, was richtig und was falsch ist. Mir hat hier noch keiner einen Job angeboten, also musste ich selbst sehen, wo ich bleibe. Sobald wir laufen und sprechen können, müssen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich brauche keinen Himmelsgeist, der mir dabei hilft. Ich schaffe das auch allein, Charlie. Das ist Gott in Wirklichkeit, glaube ich. Er ist der Teil in mir, der stärker und härter ist als alles andere. Vermutlich ist Beten nix anderes, als darauf zu vertrauen und daran zu glauben und mich selbst anzuspornen, stark zu sein. Mehr können wir nicht tun. Ich brauche keine schwachsinnigen Märchen über Türme und Schiffe, Sintfluten oder Gebote. Das ist bloß eine komplizierte Methode, um diesen Ort in sich selbst zu finden, und
ehrlich
ist es auch nicht. Ich muss mir nicht vormachen, dass jemand anderes zuhört oder sogar Anteil nimmt. Weil es darauf nicht ankommt. Auf
mich
kommt es an. Und ich komme klar, das weiß ich. Weil ich ein gutes Herz hab. Zum Teufel mit der Stadt, die mir was anderes einreden will. Damit kommt man auf die Welt, und das nimmt man auch wieder mit. Es ist alles, was ich hab.»
Wir schweigen eine Weile. Ich zupfe am trockenen Gras um meine Füße. Wir trinken weiter Whiskey. Die Flasche gibt ein helles Glucksen von sich, wenn wir sie hin- und herreichen. Es schmeckt nicht mehr ganz so scheußlich. Und die Hitze scheint meinen ganzen Körper umhüllt zu haben, vor allem den vorderen Teil meines Gehirns. Es fühlt sich fast so an, als würde die Erde um
mich
kreisen. Die Bäume drehen sich ganz langsam. Ein grünes Geflecht, ein graues Geflecht.
Ich denke nicht nach, ich frage einfach.
«Du bist zur Hälfte Aborigine, nicht? Kennst du dich mit ihrem Glauben aus?»
«Eigentlich nicht, Charlie. Ich hab meine Mum nie wirklich erlebt, deshalb weiß ich auch nichts über den Kram. Außerdem kommt sie nicht von hier, deshalb habe ich niemanden aus ihrer Familie kennengelernt.»
«Kannst du dich überhaupt noch an sie erinnern?»
«Nö, Kumpel. Sie ist gestorben, als ich noch ganz klein war.» Jasper räuspert sich. Er zündet eine weitere Zigarette an.
«Was ist passiert?», hake ich nach und sage dann: «Tut mir leid. Ich sollte dich nicht so ausfragen.»
«Ist schon okay. Du bist in Ordnung, Kumpel. Ehrlich gesagt weiß ich nicht besonders viel. Es war ein Autounfall. ’ne schlimme Geschichte, nach allem, was ich gehört hab. Meinen alten Herrn zum Reden zu bringen ist genauso schwer, wie ihn zu bewegen, sich eine verdammte Arbeit zu suchen.»
«Vielleicht macht es ihn traurig.»
«Das bestimmt, Charlie. Aber es ist keine Entschuldigung mehr. Er vergeudet sein Leben und sein Geld. Der Mann ist ein Witz. Ehrlich gesagt schäme ich mich für ihn. Weißt du, im Footballverein reden sie von ihm wie von ’nem König. Er muss seinerzeit eine echte Kanone gewesen sein. Der beste Spieler weit und breit. Sie meinen, er hätte weitermachen und überall spielen können. Und ich sehe sie an und denke, sie verarschen mich. Ich kann’s mir nicht mal vorstellen. Er hat alles versaut, Charlie. Hat keinen Mumm. Er hat alles geschmissen und einfach aufgehört. Es war ihm zu viel. Dann hat meine Mutter den Löffel abgegeben, und das war sein Ende. Er ist nie mehr dort aufgekreuzt. Hat seit Jahren keinen Fuß mehr bei ihnen reingesetzt.»
«Wirklich schade», sage ich, doch ich bin nicht ganz bei der Sache. Ich schüttele sacht den Kopf. Die Welt ist verschwommen und bewegt sich immer weiter, und in meinem Kopf höre ich ein Trommeln, das immer lauter wird. Irgendetwas stimmt nicht mit mir, glaube ich. Abwesend schaue ich zu Boden und versuche mich zu sammeln. Doch vor meinen Augen verschwimmt die Welt immer wieder auf merkwürdige Weise, und mein Magen rebelliert. Ich habe einen teigigen Geschmack im Mund und spüre meine Arme nicht mehr.
Schwankend stemme ich mich hoch und torkele davon, als würde ich an unsichtbaren Zügeln geführt. Was dann passiert, ist eine Art Exorzismus. Nass und bitter schießt das schreckliche Gebräu aus mir heraus. Ich höre auf herumzustolpern und stemme die Hände auf die Knie, während mir das Zeug den Magen umdreht. Es tropft mir von den Lippen, als ich stöhne. Und ich lerne, dass Whiskey auf dem Rückweg nicht besser schmeckt.
Dann kann ich nur noch auf die Knie sinken und mich mit offenem Mund vorbeugen. Es ist kein Black Bush mehr da, den ich von mir geben könnte. Warm und tröstend
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