Wer hat Angst vor Jasper Jones?
empfinde fast so etwas wie Triumph.
Und dann sehen wir es. Wir bleiben wie angewurzelt stehen.
Jasper flucht und zieht sich auf der Stelle zurück, ich dränge ihm nach. Er packt mich am Arm. Hält mich ganz fest. Lässt mich nicht fort. Sie haben uns nicht entdeckt. Noch nicht.
«Charlie, sag kein Wort.
Kein Wort.
Verstanden?»
Ich nicke hastig und schlucke schwer.
«Aber was soll ich machen? Was soll ich bloß machen?», zische ich in Panik. Meine Augen brennen.
«Du gehst weiter. Lass dir irgendwas einfallen. Aber sag
nichts
über mich. Dir passiert nix, Charlie. Es ist alles gut, Kumpel. Sie werden keinen Verdacht schöpfen. Du hast nix Böses getan.»
Ich atme aus und schaue die Straße entlang. Dann drehe ich mich wieder um. Jetzt haben wir keine Wahl mehr. Er kann mich nicht weiter begleiten.
«Du musst gehen, Jasper. Schnell! Du musst hier weg.»
Er ist bereits auf dem Rückzug.
«Ich komme bald vorbei, hörst du. Aber denk dran: Kein Wort. Viel Glück, Kumpel.»
Er gleitet davon.
Ich habe schreckliche Angst. Gift tropft mir in die Brust und breitet sich aus.
Ich stecke in echten Schwierigkeiten.
Ich starre die Straße entlang auf die Szene, die mich erwartet. Die Szene, vor der ich mich gefürchtet habe. Dort, im Schein unserer pfirsichfarbenen Verandalampen, stehen zwei Polizeiwagen wild geparkt auf unserem Rasen. Zwei weitere Wagen parken quer auf der Straße, auch sie mit eingeschalteten Scheinwerfern. Vor dem Haus drängt sich ein Menschenknäuel. Ich erkenne unsere Nachbarn. Und An Lu, der zurückhaltend danebensteht, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ich weiß nicht, warum, aber beim Anblick seiner stillen, würdevollen Gestalt schäme ich mich plötzlich. Und da ist meine Mutter. Jemand hat den Arm um ihre Schultern gelegt und beugt sich fürsorglich über sie. Mein Vater steht mit einer Gruppe Männer auf dem Rasen. Er nickt und reibt sich mit dem Daumen unterm Kinn.
Ich bin ein Verurteilter auf dem Weg zum Schafott. Ich bleibe stehen. Es gibt kein Entkommen. Mein Herz flattert. Mein Wackerstein ist wieder da und aus schwererem Material als je zuvor. Ein gezackter Klumpen Roheisen. Kalt. Ich will weglaufen. Will mich von hinten ins Haus schleichen, um gleich darauf vorne wieder herauszukommen und zu fragen, was der Aufruhr soll. Doch das kann ich nicht. Es ist zu spät. Ich muss meinen Mut zusammenraffen. Muss zu ihnen gehen und die Sache ertragen wie ein Mann.
Man wird mir das Fell über die Ohren ziehen, mich mit stumpfen Knüppeln verdreschen, mir den Bauch aufschlitzen. Ich habe noch nie solchen Ärger gehabt.
Gerade als ich mich in Bewegung setzen will, werde ich von hinten angestrahlt. Ich erstarre vor Schreck. Sie haben mich erwischt. Mit knallrotem Gesicht auf frischer Tat ertappt. Das war’s. Jetzt ist es so weit. Es ist wie ein Traum, surreal, aber überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich lege die Ohren an wie ein verängstigtes Tier. Es ist ein Streifenwagen. Ehe ich mich besinnen kann, heult seine Sirene auf und zerreißt die Nacht. Ich sehe, wie die Leute auf unserem Rasen mir die Köpfe zuwenden. Ich höre die Wagentür hinter mir zuschlagen. Mein erster Gedanke gilt der vagen Hoffnung, dass Jasper es geschafft hat, ohne gesehen zu werden. Dann sehe ich, wie meine Mutter sich aus der Umarmung losreißt und wie eine Wilde auf mich zurennt. Sie schreit meinen Namen, dass es mich durchfährt und mein Rückgrat Funken schlägt. Sie schluchzt. Ihr Haar ist zerzaust und ihre Kleidung verrutscht. Ihre Brüste wippen, und ihr Gesicht verzerrt sich, als sie auf mich zukommt. Ich bemerke den Mann nicht einmal, der mich an den Armen packt. Aber ich sehe, wie sie in die Knie geht und mit den Fäusten auf meine Brust einhämmert. Dann umklammert sie mein Gesicht.
«Charlie! Wir hatten solche Angst! Wir hatten solche Angst um dich! Wo
warst
du?» Ihr Gesicht ist nass und glänzt. Dunkle Streifen ziehen sich durch das Make-up auf ihren Wangen, die Schatten ihrer Tränen. Sie hält meinen Kopf fest und schüttelt ihn.
Erst jetzt begreife ich vollends, was es heißt, vermisst zu werden, verschwunden zu sein. Erst jetzt bekomme ich eine Ahnung davon, was Abwesenheit hervorrufen kann. Diese aus Ungewissheit erwachsende Wut und Anspannung.
Aus irgendeinem Grund driften meine Gedanken ans andere Ende der Stadt. Ich denke an Eliza Wishart, die nicht weiß, wo ihre Schwester ist, und die mit diesem Panikknopf in der Brust leben muss. Zu wissen, dass ich in der
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