Wer hat Angst vor Jasper Jones?
jemand in der Stadt. Glaubs mir. Er ist ein verdammter Irrer. Jedes Mal, wenn ich auf dem Weg hierher an seinem Haus vorbeigehe, und ich meine jedes
einzelne
Mal, kommt er auf die Veranda, winkt und schreit und ruft meinen Namen. Ganz merkwürdig. Er kennt meinen
Namen
, Charlie. Ich glaub, er ist hinter mir her. Ganz bestimmt.»
Mir ist das alles zu viel. Zu schnell. Ich bin hoffnungslos durcheinander. Und ich habe Angst. Jetzt ist mir wirklich nach einer Zigarette zumute. Ich sehe zu, wie die bernsteinfarbene Glut bei jedem Zug aufwallt. Es sieht beruhigend aus. Ich bin müde. Will mich hinsetzen. Oder mich auf dieses weiche Fleckchen Erde legen. Aber ich kann nicht. Ich hänge mit drin. Das ist es, was ich nicht kapiere: dass ich irgendwie in diese Sache verwickelt worden bin.
«Aber was hat das mit Laura zu tun? Wenn Mad Jack Lionel hinter dir her ist, warum sollte er so was tun?»
«Weil er jedes Mal, wenn ich mit Laura vorbeigegangen bin, draußen auf der Veranda gestanden und gebrüllt hat. Er hat sie gesehen. Er hat gewusst, dass wir oft zusammen sind. Und sie hat ihn auch gesehen. Hat mächtig Schiss vor ihm gehabt. Er hat sie ganz schön aufgeregt und nervös gemacht. Vielleicht ist
er
uns gefolgt. Er ist der Einzige, der mir einfällt. Oder er hat irgendwie gewusst, wo wir hingehen. Vielleicht kennt er die Lichtung. Vielleicht war er es, Charlie.»
Jasper erahnt meine nächste Frage.
«Er sieht mich jede Nacht, rennt raus und schreit und ruft und macht. Jede Nacht. Außer
heute
, Charlie. Weißt du noch? Es hat kein Licht gebrannt. Nichts. Dabei haben wir draußen
gewartet
. Aber es kam kein Mucks.»
Ich lege die Stirn in Falten. Plötzlich fühle ich mich nicht mehr entrückt und muss mir von innen in die Wange beißen. Tränen brennen mir in den Augen. Ich will wirklich nicht losheulen, aber ich bin wütend. Niedergeschmettert. Und ich habe gewaltige Angst. Keine Ahnung. Ich fühle mich verraten oder so etwas. Aber vor allem habe ich Angst. Meine Stimme überschlägt sich.
«Warte mal, du hattest den Verdacht, dass Mad Jack Lionel gerade jemanden
umgebracht
hat, und bist zu mir gekommen und hast mich geradewegs zu seinem Haus geführt? Ohne mir zu sagen,
warum
? Und dann bringst du mich hierher, um mir das zu zeigen? Obwohl es sein kann, dass der verrückte Schweinehund immer noch hier ist und auf dich oder auf uns beide wartet? Warum? Warum tust du mir das an? Verpiss dich. Leck mich am Arsch! Ich hau ab. Ich hau ab, verdammt noch mal.»
Ich beiße mit aller Kraft die Zähne zusammen, um nicht loszuheulen. Meine Nasenflügel beben, meine Zunge schwillt an, und ich habe einen sauren Geschmack im Mund. Ich habe noch niemals so geflucht. Es fühlt sich seltsam an. Und natürlich gehe ich nirgendwohin. Ich sitze hier in der Falle. Es gibt keinen Ausweg. Nicht aus dem Busch und nicht aus diesem Schlamassel. Jasper Jones ist meine Rückfahrkarte.
Er kommt hoch aufgerichtet auf mich zu, die Zigarette zwischen den Lippen, und legt mir die Hand auf die Schulter, was mich auf der Stelle besänftigt.
«Geh noch nicht, Charlie. Bitte, Kumpel. Ich brauche deine Hilfe. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Wirklich nicht. Es tut mir leid. Ganz ehrlich.»
Ich blinzle heftig. Ich schniefe, spucke und rücke meine Brille zurecht. Jaspers Hand bleibt auf meiner Schulter.
«Hör zu. Mit mir kann dir hier nichts passieren, Charlie. Vertrau mir. Du musst mir vertrauen. So wie ich dir. Ich weiß, dass du ein guter Kerl bist. Wirklich. Wir werden das Richtige tun. Ganz sicher.»
Ich schüttle den Kopf.
«Aber was sollen wir nur tun? Siehst du denn nicht, wie hoffnungslos das alles ist? Wir sind doch keine Polizisten! Das hier ist bitterer Ernst! Wir können keine Befragungen durchführen. Wir können mit den Leuten nicht darüber reden. Wir können
gar nichts
tun!»
«Aber wir können es wenigstens versuchen. Das ist mehr, als die Polizei von Corrigan tun wird, wenn ich jetzt dort reinspaziere und ihnen erzähle, was passiert ist. Die schließen den Fall ab, bevor es überhaupt einer wird, Charlie. Sie werden den verdammten Gerichtstermin schneller ansetzen als die Beerdigung. Und das weißt du. Du kennst diese Stadt. Ich muss hier nichts anstellen, um in Schwierigkeiten zu geraten. Also müssen wir rausfinden, wer es war. Es
muss
sein.»
Jaspers Argumentation hat etwas Unwiderstehliches, so absurd und unlogisch sie auch sein mag. Es ist nicht schwer zu akzeptieren, dass er recht haben könnte. Dass er
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