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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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wirklich für etwas im Gefängnis landen könnte, was er nicht getan hat. Dass diese Stadt wirklich so falsch und niederträchtig ist. Dass Mad Jack Lionel tatsächlich für diese Sache verantwortlich sein könnte. Dass es an uns liegt. Dass das Unheil, das Jasper droht, wirklich so schwer und böse ist.
    Vielleicht gelingt es uns tatsächlich, die Sache aufzuklären und die Dinge geradezurücken. Vielleicht bin ich der einzige Mensch in Corrigan, der Jasper Jones jemals Glauben schenken würde. Vielleicht ist er deshalb zu mir gekommen. Vielleicht hat er mich deshalb ausgesucht. Was nichts anderes bedeutet, als dass er mir von dem Moment an vertraut hat, als er über unseren Gartenzaun sprang und sich meiner verwitterten Schlafveranda näherte. Er muss mich für aufrichtig und gerecht gehalten haben – wie Atticus Finch in
Wer die Nachtigall stört
: jemand, der würdevoll, vernünftig und klug ist und sich ohne Vorurteile auch für Außenseiter einsetzt. Vielleicht ist Jasper sich auch einfach nur sicher, dass ich es nie fertigbringen würde, sein Vertrauen zu missbrauchen. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beidem. Sicherheit und Vertrauen.
    Obwohl ich es vorziehe, mir vorzustellen, dass ich spätnachts noch auf bin und über Mark Twain brüte, während Jasper Jones zu mir eilt, weil ich so gelassen und weise bin. Als wäre ich Salomon persönlich. Jemand, den man aufsucht, wenn alles schrecklich aus dem Ruder läuft.
    Doch das ist meilenweit von der Wahrheit entfernt. Ich habe keine Ahnung, welche Hilfe ich ihm anbieten kann. Ich bin ratlos. Ich kann den Kopf nicht nach links drehen. Ich habe Lauras Körper aus meinem Blickfeld und meinem Geist verbannt, aber sie lässt mich nicht los, sie ist hartnäckig. Sie ist so nah. Es ist zu viel für meinen Verstand. Zu viel auf einmal. Und zu schnell. Viel, viel zu schnell. Es scheint, als gäben wir uns alle Mühe, Laura Wishart absichtlich zu ignorieren. Wie sie da hängt. Am Strick. Nur ein paar Meter entfernt. Wenn wir nicht hinsehen, wenn wir um sie herumreden, wird sie sich in der Dunkelheit auflösen. All das wird nie passiert sein. Und ich kann wieder nach Hause gehen, schlafen und ohne dieses belastende Wissen aufwachen.
    Nach längerem Schweigen wende ich mich Jasper zu und schnaufe durch die Nase.
    «Also gut. Was ist, wenn
ich
die Sache melde? Nur ich. Ohne dich. Ich könnte jetzt gleich zur Polizei gehen, oder meine Eltern, und ihr erzählen, was ich gesehen habe. Ohne jemals deinen Namen zu erwähnen.»
    Jasper Jones reibt sich mit dem Daumen unterm Kinn. Dann schüttelt er heftig den Kopf.
    «Das funktioniert nicht, Charlie. Zuallererst, was hättest du hier zu suchen, ganz allein? Das ergibt doch keinen Sinn.»
    Ich zucke die Achseln. «Ich könnte sagen, dass ich mich schon den ganzen Sommer über wegschleiche. Einfach bloß um zu fischen oder so. Zum Herumstreifen. Was auch immer. Das wäre nichts Besonderes.»
    «Nimm’s mir nicht übel, Charlie. Aber erstens glaub ich nicht, dass dir das jemand abkauft, am allerwenigsten deine Herrschaften. Und der Sergeant schon gar nicht.»
    «Vielleicht aber doch», wende ich empört ein.
    «Und zweitens wird ein halbes Dutzend Mädchen aus der Stadt die Stelle hier wiedererkennen, sobald man sie entdeckt, und dann stecken sie der Polizei, wer sie hergebracht hat. Und dann wissen sie, dass du mich gedeckt hast. Sie kommen dahinter, keine Sorge. Dann giltst du als Mittäter, Charlie. Glaubs mir. Und ich hab keine Chance.»
    Ich wische mir den Schweiß von den Brauen und fahre mir über den Hinterkopf.
    «Also gut. Nehmen wir mal an, wir bringen sie woandershin. Wenn dich hauptsächlich die Tatsache, dass Laura hier ist, in Schwierigkeiten bringt, dann sollten wir sie besser wegschaffen, näher an die Stadt, damit sie von jemand anderem entdeckt wird. Zum ersten Mal sozusagen. Dann hast du doch eine Chance, oder nicht? Auf die Art bist du nicht in ihrer Nähe.»
    Ich kann kaum glauben, dass ich das wirklich sage. Das kann ich doch nicht im Ernst vorschlagen. Aber so, wie Jasper sich die Wange reibt, scheint es, als denke er darüber nach. Mir hebt sich der Magen. Ich will es augenblicklich zurücknehmen.
    «Ich verstehe, was du meinst, Charlie. Aber es ist zu riskant, Kumpel. Wenn uns jemand sieht und wir erwischt werden, sind wir geliefert. Dann wird nicht mehr lange gefragt, und wir sind so gut wie überführt. Aber selbst wenn sie uns nicht erwischen, ist die Polizei nicht blöd. Die kommen dahinter. Die

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