Wer hat Angst vorm bösen Mann?
den Sohn Narkissos gebar. Er war ein schöner Jüngling, der von Mädchen und Jungen gleichermaßen umschwärmt wurde. Jedoch war er nur in sein eigenes Spiegelbild verliebt und wies daher alle Verehrer zurück.
Von dieser griechischen Sage leitet sich das Wort «Narzissmus» ab. Der Begriff der narzisstischen Persönlichkeit wird in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen. Damit bezeichnet man selbstverliebte, ichbezogene Menschen. All ihr Streben ist darauf gerichtet, von anderen bewundert, geliebt, verehrt, geachtet und gerühmt zu werden. Talentiert, erotisch, mächtig, beliebt, beneidenswert oder wohlhabend sind die Adjektive, mit denen sich Narzissten gern beschrieben sehen. Am liebsten reden sie über ihre eigenen Erfolge, einen gewonnenen Sportpreis, eine tolle Abenteuerreise oder ein eingeheimstes Lob vom Chef. Sie haben dabei aber keinerlei Gespür dafür, wenn der Gesprächspartner neidisch wird, durch die Aufzählung der Siege und Karrieresprünge gelangweilt ist oder die hemmungslose Selbstbeweihräucherung schlicht nicht mehr ertragen kann.
Narzissten fordern Wertschätzungen und Huldigungen auch ein, ohne entsprechende Leistungen erbracht zu haben. Sie sind selbstgerecht, manipulativ und ausbeuterisch. Schamlos nutzen sie andere für ihre eigenen Zwecke aus. Empathie ist ein Fremdwort für sie. Narzissten sind leicht kränkbar, demütigen aber gern andere, ohne mit der Wimper zu zucken – und genießen es förmlich, wenn das Gegenüber die Verachtung schmerzhaft spürt.
Äußerlich sind Narzissten oft leicht erkennbar: Sie legen Wert auf auffallende Kleidung. Die ausführliche Körperpflege kann schon mal große Anteile des Tagwerks in Anspruch nehmen.
Auch wenn sie so wirken, als würden sie nicht mit mangelndem Selbstbewusstsein geschlagen sein, sind sie im tiefsten Inneren unsicher. Ihr verzweifeltes Bemühen um Anerkennung und ihre Gefallsucht sind aus der Befürchtung geboren, von allen verlassen zu werden, wenn sie eines Tages nicht mehr hochattraktiv, interessant und einflussreich daherkommen.
Gelegentlich ist die Bewunderung, die bestimmten Narzissten entgegenschlägt, fast unheimlich. Manche Menschen hängen an solchen Charismatikern wie Abhängige an der Nadel. Selbst wenn sie aus anderen Quellen erfahren, dass der von ihnen Verehrte ein eitler Gockel, ein arroganter Zyniker, ein hemmungsloser Schürzenjäger, ein gut getarnter Egomane oder ein geschickter Betrüger ist, sehen sie ihn als das Opfer einer Verleumdungs- und Rufmordkampagne und halten zu ihm.
Jetzt fallen Ihnen sicher zwei, drei Menschen aus Ihrer nächsten Umgebung ein, auf die diese Beschreibung passt. Vielleicht ist es sogar Ihr Lebenspartner, auf den bestimmte der hier genannten Eigenschaften zutreffen. Vielleicht haben Sie sich über diese Charakterzüge schon oft geärgert, aber Sie denken, dass derjenige deswegen noch lange nicht eine psychiatrische Diagnose verdient hat. Oder aber: Sie stellen bei sich selbst ähnliche Tendenzen fest und werden jetzt von Zweifeln geplagt, ob Sie auch in die Sparte der Narzissten gehören. Und Sie stellen sich die Frage: Ab wann ist ein solches Verhalten eine Normvariante, ab wann fängt die «Störung» an?
Jeder ist ein bisschen narzisstisch. Die Grenzen sind schwer zu ziehen. Über einen Leidensdruck kann man es nicht definieren, denn Narzissten leiden nicht unter ihrem problematischen Verhalten und finden sich selbst völlig in Ordnung, selbst wenn ihre Umgebung schwer von ihnen genervt ist. Und wenn sie irgendwie leiden, dann nicht unter sich selbst, sondern unter den Reaktionen der anderen Menschen auf ihr unsoziales Benehmen. Von einer «gestörten» Persönlichkeit kann man allerdings nur dann sprechen, wenn andere Menschen durch das Verhalten der Person empfindlich beeinträchtigt werden.
Narzissmus muss nicht verkehrt sein, denn es gibt durchaus angenehme und allseits beliebte Menschen unter den Narzissten. Solche Menschen tun alles, damit andere nur das Beste von ihnen denken. Sie sind hilfsbereit, charmant, freundlich, liebenswert oder sympathisch – aber meist mit dem kleinen Hintergedanken, dass es ihnen irgendwie nützen könnte. Es gibt die positiven Narzissten, die Gutes tun wie Spenden sammeln, ein Kindersportfest organisieren, sich gegen ein Atommüllendlager einsetzen oder ein Händel-Festspiel auf die Beine stellen. Wenn hinter solchen gemeinnützigen Aktivitäten zwar nur der Beweggrund steht, das eigene Image aufzupolieren, so ist doch das angenehme
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