Wer hat Angst vorm bösen Mann?
ihr zeugte, eine ganz große Fangemeinde hat. Frauen suchen sich oft Männer, die verheiratet oder unerreichbar sind, wie Pfarrer oder welche, die im Gefängnis sind. Die können ja nicht weglaufen. Und man kann ihnen Briefe schreiben und sich Emotionen hingeben
Astrid Wagner
Kleine dezente Anspielungen
Es gab da unzählige Frauen, die sich um Unterweger gekümmert haben. Da war ein Bürgerstöchterl aus schwerreicher Familie, die hatte einen ähnlichen Männergeschmack gehabt wie ich, nur noch viel schlimmer. Einzig diese bösen Jungs mit schwerer Kindheit, auch Zuhälter. Eine reiche Dame, eine Unternehmergattin, hat ihn finanziert und ihm seine stolze Miete gezahlt, immerhin 14 000 Schilling monatlich. Eine Klosterschwester schrieb ihm, eine Hausfrau, die ihm gestand, dass ihr Mann sie schlägt. Auch ein vierzehnjähriges Mädchen aus Tirol und eine Siebzehnjährige aus Vorarlberg haben ihm unzählige Briefe geschickt. Sogar ein Mann, ein norwegischer Pfarrer. Des Weiteren eine Künstlerin aus Linz, die mit ihm früher eine Beziehung gehabt hatte, eine etwas Naive, die meinte, ja, wenn er bei ihr geblieben wäre, dann wäre das alles nicht passiert. Einmal hat man für ihn eine Gedenkminute eingelegt, in der all diese Frauen in verschiedenen Städten gleichzeitig an ihn gedacht haben … das war witzig. Als wir in einer Runde von Frauen wieder einmal über Jack schwärmten, musste uns ein Mann auf den Boden der Tatsachen bringen: ‹Hört auf, er ist doch nicht Jesus Christus.› Viele Männer haben damals verbittert gesagt: ‹Der ist ein Mörder und sitzt im Häf’n, und ich anständiger Bürger hab niemanden, der auf mich steht.›
Mir hat man nicht nur unterstellt, dass ich etwas mit dem Unterweger gehabt hätte, sondern auch mit dem Richter, also mit zwei Männern gleichzeitig. Das hatte man damals als Grund genommen, den Richter für befangen zu erklären. Das fand ich empörend.»
«Er hatte sehr attraktive Frauen …», werfe ich ein.
«Er war nicht so wählerisch», erwidert die Rechtsanwältin. «Der war eher ein Frauengenießer. Ich habe mir immer gedacht, dass ich sowieso nicht sein Typ bin, weil ich ja sehr schlank und grazil bin. Er hatte eher diese molligen Frauen mit großem Busen bevorzugt.»
«Was ist mit Bianca Mrak, die mit ihm in Miami war?»
«Die brauchte er zum ‹Angreifen›, die war nicht eine, mit der man schwärmerische Briefe austauschte, die brauchte ‹handfeste› Sachen. Sie war plötzlich ein Star im Fernsehen, und das hat sie fasziniert, das hat sie ausgekostet.»
«Bianca hat ihn oft in der Untersuchungshaft besucht?»
«Ja, das lief parallel zu meinen Terminen», sagt Astrid Wagner. «Der Untersuchungsrichter hat das wohl ausgenutzt. Er durfte die Post kontrollieren, und so steckte er offenbar den Brief von Unterweger an mich in den Umschlag an Bianca und umgekehrt. An Bianca hatte er einen schönen Liebesbrief geschrieben, den ich las, und Bianca bekam den Brief an mich, in dem er sie als dumme Kuh bezeichnete. Als er im Häf’n saß, war Jack für sie plötzlich ein alter Mann, er war ja doppelt so alt wie sie.
Bei mir war es aber nie so, dass Unterweger meinte, wir hätten eine Beziehung, das war nur so ein Flirt. Später fing er jedoch davon an, dass ich die Frau seines Lebens sei, dass er mich heiraten und zwei Kinder mit mir haben wolle. Seinen letzten Brief habe ich noch. Er hat mich sehr erschüttert, weil er darin seinen Selbstmord ankündigte.»
«Würden Sie denn sagen, dass Sie ihn geliebt haben?», hake ich neugierig nach.
«Ja, es ist schon so, dass er mich fasziniert hat», gibt Astrid Wagner zu. «Es war dieses Fremde … ich war doch ein Bürgerstöchterl, das in der Provinz versandet ist, und er hatte schon alles erlebt, war überall gewesen, Zuhälter in Hamburg und so weiter. Natürlich war da auch eine warnende Stimme in mir, die mir gesagt hat, dass ich mit ihm keine langfristige Beziehung haben kann, weil sie ihn nicht herauslassen werden. Aber er hat immer diesen Optimismus ausgestrahlt und gesagt: ‹Wir schaffen das schon.›»
«Fanden Sie ihn denn sexuell attraktiv?», versuche ich das Phänomen weiter zu ergründen.
«Im Rückblick ist das schwer zu sagen», entgegnet Astrid Wagner, «aber das gehörte natürlich dazu. Es war nicht Sex im engeren Sinne, das war Sexualität in sehr sublimierter Form, der Blick durch das Maschengitter. Eine Berührung war praktisch nicht möglich. Ich stehe eigentlich auch eher auf Männer, die
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