Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Überflüssiges zu erzählen, denn sicher war Skarre ein vielbeschäftigter Mann, der wirrköpfige Zeuginnen zweifellos nicht leiden mochte. Aber solange sie redete, mußte er ja bei ihr stehen bleiben, und weit und breit war keine Kundschaft in
Sicht.
»Kennen Sie Errki Johrma?«
»Kennen nicht gerade. Ich weiß, wer er ist.«
»Fürchten Sie sich vor ihm?«
»Nicht direkt. Ich würde mich wahrscheinlich fürchten, wenn ich ihm allein auf einer einsamen Landstraße begegnete. Aber dann würde ich mich vor jedem fürchten.«
Nur vor dir nicht, dachte sie. Du siehst aus wie ein Engel.
»Und«, fragte er dann, »wie läuft der Laden? Dreizehn fünfundsiebzig für ein Graubrot, ist das nicht ziemlich herbe?« Er nickte zu dem Anschlag neben dem Brotregal hinüber.
Johnna seufzte resigniert. »Er wird sich mit seinen Preisen noch ruinieren. Die Gegend ist dünn besiedelt. Wir verdienen nicht viel. Und demnächst wird eine halbe Stunde von hier ein neues Einkaufszentrum eröffnet. Dann geht es sicher voll in den Teich mit Läden wie diesem.«
Sie sah plötzlich besorgt aus.
»Ein Einkaufszentrum?« Er lächelte aufmunternd. »Aber sicher haben Sie da eine Chance, wenn Briggen schließen muß?«
Dieser Gedanke wirbelte ihr durch den Kopf, denn in stillen Stunden hatte sie genau davon geträumt, nur hatte sie es nie gewagt, jemandem davon zu erzählen.
»Übrigens«, sagte er leise und beugte sich vor, »nur sicherheitshalber. Briggen war doch gestern den ganzen Tag hier im Laden?«
»Nicht gestern. Da war ich allein hier. Er war zur Weiterbildung.«
»Und Sie müssen den Laden allein führen, wenn der Chef außer Haus ist?«
»Ja, was bleibt mir anderes übrig?«
Er richtete sich auf. »Wenn Sie etwas hören oder sehen sollten oder wenn Ihnen etwas einfällt, das von Bedeutung sein könnte, dann rufen Sie mich doch bitte an. Zum Beispiel, wenn Errki auftaucht, um Schokolade zu stehlen.«
Er zwinkerte ihr zu und zog seine Karte aus der Tasche. Johnna nahm sie mit zitternden Fingern. Es würde nie dazu kommen. Sie würde keinen Grund finden, um Kontakt zu diesem Mann aufzunehmen. Und dann ging er, und alles war vorbei. Sie setzte ihre Brille auf. Wollte sich nicht mehr im Plexiglas spiegeln. Briggen rief und brauchte Hilfe bei den Fischen. Er starrte Johnna mißtrauisch an.
MORGAN BLICKTE SEHNSÜCHTIG aus dem zerbrochenen Fenster. Da unten lag der See, glitzernd und frisch. Sein Körper war schwer von Hitze und Müdigkeit, und er sehnte sich heftig nach Abkühlung.
»Ein eiskaltes Bad«, murmelte er. »Das wär’ was, oder, Errki?«
Errki schwieg. Bei der bloßen Vorstellung schauderte ihm schon. Der Whisky hatte ihn müde gemacht, er döste vor sich hin. Und er badete nie, nicht einmal in einer Badewanne. Sein Körper verhielt sich im Wasser seltsam, und das gefiel ihm nicht.
»Ich geh jetzt baden, und du kommst mit«, verkündete Morgan.
Er sah Errki an, offenbar wild entschlossen. Das war beunruhigend. Errki spürte, wie er sich verspannte. Er ertrug diesen Gedanken nicht. Dort unten in dem schwarzen Wasser konnte doch alles geschehen.
»Du kannst baden«, sagte er leise. »Ich halte solange den Revolver.«
»Sei nicht so schrecklich witzig. Wir werden beide baden, und du gehst als erster ins Wasser.«
»Ich bade nie.«
»Du badest, wenn ich es dir sage.«
»Du kapierst das nicht. Ich bade nie!«
Errki wurde zu etwas gezwungen, das er nicht ertragen konnte.
Er mußte die Stimme heben.
»Aber Gott soll mich schützen, du hast es nötig. Komm schon, ich mache keine Witze.«
Errki bewegte sich nicht. Nichts auf dieser Welt konnte ihn ins Wasser bringen. Nicht einmal ein Revolver. Dann wollte er lieber sterben. Er war noch immer unvorbereitet, er hätte diese Welt gern mit einer gewissen Eleganz verlassen, aber wenn das nicht ging, dann eben nicht.
»Also, jetzt geht’s los.«
Morgans Entschluß stand fest, jede seiner Bewegungen sagte das. Er ging zum Sofa, packte Errki beim T-Shirt und zog ihn auf die Beine. Errki hätte fast das Gleichgewicht verloren.
»Einfach kurz ins Wasser und dann wieder raus. Dauert zwei Minuten. Und macht einen klaren Kopf. Bei dir natürlich nicht.«
Er stieß Errki mit dem Revolver an und schob ihn auf diese Weise aus dem Haus.
»Geh auf der linken Seite runter, dann kommen wir zu dem Inselchen da unten.«
Errki schaute die glatte Felskuppe an und zuckte mit den Schultern. Nie im Leben würde er in dieses schwarze Wasser gehen, nie. Aus dem Keller war nichts
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