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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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weil sich ein grausamer und brutaler Tod ereignet hat? Wie wird mir das in zehn Jahren gefallen? Und was wird es aus mir als Mensch machen, daß ich immer wieder Unschuldige fragen muß: Wo warst du gestern? Wann bist du nach Hause gekommen? Und wie sieht es eigentlich mit deinen Finanzen aus?
    Er zog das Notizbuch aus der Tasche. »Sie haben einen warmen Arbeitsplatz«, begann er freundlich. Dabei musterte er verstohlen den roten Kopf.
    »Mir gefällt es hier.« Mai lächelte kurz. »Ich komme aus Hammerfest. Da haben wir immer gefroren.«
    Skarre legte den Kopf schräg und lächelte. »Wann haben Sie vom Tod Ihrer Großtante erfahren?«
    »Meine Mutter hat mich angerufen. Gestern abend um neun.«
    »Und was haben Sie erfahren?«
    Mai hob den Kopf, blickte zu dem elektrischen Ventilator unter der Decke und seufzte tief. »Daß jemand in ihr Haus eingedrungen ist, ihr ganzes Geld gestohlen und sie mit einer Axt erschlagen hat und weggelaufen ist.«
    »Mit einer Hacke«, korrigierte Skarre.
    »Das läuft ja wohl aufs gleiche raus«, sagte Mai leise. »Angeblich hatte sie einiges an Geld«, fügte er hinzu.
    »Wissen Sie Genaueres?«
    »Sie hatte eine halbe Million«, antwortete Mai. »Aber die lag auf der Bank.«
    »Das wußten Sie?«
    »Ja, sicher. Sie war stolz darauf.«
    »Und haben Sie darüber gesprochen?« Er blickte Mai eindringlich an.
    »Mit wem zum Beispiel?«
    »Mit Freunden, Kollegen.«
    »Ich bin eigentlich fast immer allein«, sagte Mai einfach.
    »Aber es muß doch irgendwen geben, mit dem Sie sprechen?«
    »Mein Vermieter. Sonst niemand.«
    Er setzte sich anders hin und blickte Skarre lange an. »Sie wollen mich aus dem Fall ausschließen, stimmt’s? So nennen Sie das doch?«
    Skarre legte sein Notizbuch beiseite und sah ihn an. Er hatte diesen jungen Mann nicht eine Sekunde lang für einen Mörder gehalten. Hatte nicht geglaubt, daß er seine Großtante erschlagen hatte, um sich mit deren Geld davonzumachen. Aber natürlich, so mußte es ankommen, und er fragte sich plötzlich, was das für ein Gefühl sein mochte. Reichte es, selbst zu wissen, daß man ein schneeweißes Gewissen hatte? Oder hinterließ das Wissen, daß jemand auch nur die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, eine bohrende Unruhe? Kristoffer Mai hatte grüne Augen. Sie sahen schuldig aus. Skarre überlegte sich; daß alle, mit denen er sprach, die er verhörte, die er ausschloß, so aussahen. Vielleicht reichte es, daß sie in einem Augenblick der
    Not mit dem Gedanken gespielt hatten. Halldis hat viel Geld. Und hier bin ich und placke mich für einen Hungerlohn in einer Großküche ab. Was wäre, wenn?
    »Sie haben sie bisweilen besucht, stimmt das?«
    »Wenn dreimal im Jahr als bisweilen durchgehen kann, dann ja.«
    »Das sind wohl dreimal und nicht mehr, möchte ich meinen.« Skarre lächelte, um seine nächste Frage zu entschärfen. »Ist das letzte Mal schon lange her?«
    Mai schaute aus dem Fenster und zuckte mit den Schultern. »Drei Monate vielleicht. Das ist wenig und doch viel, je nachdem, wie man es sieht.«
    »Sie haben ihr einen Brief geschrieben? Den Sie vor sechs Tagen aufgegeben haben?«
    »Ja, stimmt. Ich hatte versprochen, sie zu besuchen. Aber das habe ich nicht geschafft.« Er rutschte unruhig hin und her. »Und jetzt sitze ich hier und mache mir Gedanken. Weil sie während der letzten Tage ihres Lebens auf jemanden gewartet hat, der nicht gekommen ist.«
    »Warum haben Sie sie denn nicht besucht?«
    »Wir hatten hier einige Krankmeldungen, da mußte ich Sonderschichten fahren.«
    »Haben Sie sie angerufen und gesagt, daß Sie erst später kommen könnten?«
    »Nein, leider nicht. Da bin ich wie die meisten Leute«, murmelte Mai. »Ich habe mit mir selber genug zu tun. Das ist mir jetzt wenigstens bestätigt worden.«
    Skarre dachte an das Schuldgefühl, das sich bei einem Todesfall immer aufdrängt. Wenn man keine konkrete Schuld trägt, denkt man sich eine aus.
    »Gefällt es Ihnen hier?« fragte er dann. Es kam ihm lächerlich vor, hier zu sitzen und einen von Halldis’ wenigen Verwandten zu verhören, noch dazu einen, der sie immerhin besucht hatte. Und zugleich verstand er diesen Widerwillen nicht. Das war doch schließlich seine Aufgabe. Vielleicht bin ich überarbeitet, dachte er. Und dieses Gefühl ist ein Hinweis darauf, daß ich Urlaub brauche.
    »Wie heißt denn Ihr Vermieter?« fragte er dann. »Sie haben ein möbliertes Zimmer?«
    »Genauer gesagt eine kleine Wohnung mit eigenem Eingang und

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