Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
Vom Netzwerk:
Frühmoderator, lächelte ihr beruhigend zu. »Let it be«, sangen die Beatles, und Emma spürte ihr Herz gegen den Brustkorb klopfen. Sie wusste, dass nicht nur Schneider genau hinhören würde. Der Refrain dudelte aus, Sönke zog den Regler hoch, das Licht leuchtete rot auf. Sie waren auf Sendung. Emma unterdrückte den Wunsch sich zu räuspern.
    »Gestern Abend gab es einen Todesfall bei der Eröffnung der neuen Universität. Der prominente Wissenschaftler Tom Rosenberg verstarb noch während der Feierlichkeiten. Nach unseren Recherchen haben wir den Verdacht, dass es sich hierbei um einen Mord handeln könnte. Meine Kollegin Emma Vonderwehr ist bei mir, Emma, was ist da gestern geschehen?«
    Emma hatte einen Kloß im Hals, eine fürchterliche Sekunde dachte sie, sie würde keinen Ton herausbringen können – und dann fing sie einfach an. Sie erzählte von der überraschenden Absage und dem plötzlichen Verschwinden Rosenbergs. Sie ging noch einmal den leeren weißen Gang entlang, sah die Tür. Sie beschrieb das demolierte Büro, die Männer von der Spurensicherung, berichtete von ihrem Gespräch mit Blume im Flur.
    Sie sah, wie Sönke seinen professionellen, leicht überheblichen Gesichtsausdruck verlor und ihr mit offenem Mund zuhörte. Und durch ihn hindurch spürte sie, wie der Techniker hinter der Scheibe seine Regler vergaß, wie Haarms seinen Kaffee kalt werden, wie die Putzfrau die Feierabendzigarette verglühen ließ. Sie spürte, wie Autofahrer lauter stellten und Werksarbeiter den Kopf Richtung Büro drehten, in dem das Radio lief. Und zu jedem Einzelnen sprach sie.

E in alter Mann saß im Halbdunkel in seinem Rollstuhl und starrte auf die geschlossenen bodenlangen Vorhänge. Sein Arm ruhte auf der Ablage eines antiken Sekretärs. Darauf stand ein hässlicher brauner Radiowecker, aus dem Emmas Stimme verzerrt zu ihm sprach. Er hätte tot sein können, so zusammengesunken saß er da. Die Pflegerin, die hereinkam, erschreckte. Sie ging auf die Vorhänge zu, um sie mit einem Ruck aufzureißen und Licht und Luft in den Raum zu lassen. Der Mann reckte sein altes Gesicht und herrschte sie mit heiserer Stimme an, sie sollte ihn in Ruhe lassen. Die Pflegerin fuhr zusammen, zögerte einen Moment und sagte dann leise, ja, Herr Bohmann. Dann ging sie hinaus.
    Der alte Mann sank wieder in sich zusammen und lauschte den Worten Emmas. Seine Hand, die mehr einer Klaue glich, krallte sich in die braune Kunstlederverkleidung des Radios. Plötzlich schlug er auf das Radio ein, aber es steckte zu wenig Kraft in ihm, als dass er es zum Schweigen bringen konnte.

K urz vor zehn füllte sich das Großraumbüro. Die Kollegen hängten ihre Jacken auf, schlossen ihre Taschen ein und holten sich einen Kaffee aus der Kantine. Emma hatte sich wieder an den Schreibtisch des Wochenendredakteurs gesetzt. Niemand sprach sie an, aber sie spürte die Blicke, die sie streiften. Alle halbe Stunde lief in den Nachrichten die Zusammenfassung. Haarms hatte ihr Gespräch mit Sönke in kleine Takes geschnitten, die im Programm, »in der Fläche«, wie man hier sagte, und in den Nachrichten eingesetzt wurden. Der Sprecher betonte jedes Mal, dass die Erkenntnisse »nach Recherchen von BerlinDirekt« zustande gekommen seien. Damit musste jede Nachrichtenagentur, jede Zeitung und jeder Sender BerlinDirekt zitieren, wenn sie die Meldung bringen wollten.
    Schneider kam aus seinem Kabuff und ging an ihr vorbei in den Sitzungsraum. Er war kurz nach sieben ins Büro gekommen, hatte sich den Mitschnitt der laufenden Sendung angehört und mit Emma über den Abend gesprochen. Er hatte ihr geraten, nach Hause zu gehen und sich hinzulegen, aber Emma hatte abgelehnt. Sie wollte wissen, was in der Konferenz besprochen wurde. Schneider hatte genickt und war mit einem Stapel Zeitungen in seinem Büro verschwunden.
    Lachend und schwatzend gingen die Kollegen an ihr vorbei in den Sitzungsraum. Emma folgte ihnen. Der kleine Raum war bereits überfüllt, jeder Stuhl am Tisch besetzt. Emma drängte sich durch die Reihen und setzte sich auf einen kleinen Ablagetisch in der Ecke.
    Schneider lehnte sich zurück und sah Haarms an.
    »Gut. Legen wir los, Markus?«
    Haarms holte bereits Luft, da öffnete sich noch einmal die Tür, und ein schlanker Mann Anfang sechzig im teuren Anzug kam herein. Sofort setzten sich die Mitarbeiter etwas gerader hin. Er ließ den Blick über die Stuhlreihen gehen, bis sich Sebastian, der Redaktionsassistent, erhob und ihm seinen Platz

Weitere Kostenlose Bücher