Wer im Trueben fischt
Darunter waren auch rechtsradikale Gruppen.« Schneider beugte sich interessiert vor.
»Was für Gruppen?«
Die Frau zuckte mit den Schultern.
»Bürgerinitiativen, Parteigrüppchen, wer genau, weiß ich nicht. Kann ich aber rausfinden. Auf jeden Fall regten sich einige Leute darüber auf, dass die Uni internationale Sponsoren hat. Das seien ›jüdische Spekulanten‹, hieß es, sogar was von ›Unterwanderung‹ hab ich gelesen.«
»Gut«, Schneider lehnte sich wieder zurück,
»Ernst, kannst du den Nachruf schreiben? Ich hätte gerne eine Auflistung der Wissenschaftler, die Rosenberg in seinem Buch angegriffen hat. Gibt es da auch Leute hier aus Berlin? Waren welche davon bei der Veranstaltung?«
Der Mann kritzelte etwas auf ein Blatt, seine eisgrauen Haare schienen sich vor Begeisterung aufzustellen.
Schneider wandte den Kopf.
»Bente, kannst du bis Mittag eine Zusammenfassung der rechten Gruppen machen?«
Die Frau mit den dunklen langen Haaren nickte.
Jetzt sah er Emma an.
»Du willst vermutlich schlafen gehen …«
»Nein, nein«, Emma versuchte, ihre Stimme wach klingen zu lassen, »ich bin o.k. Gar nicht müde.«
Schneider lächelte kurz, dann richtete er seinen Blick auf den Zettel vor ihm.
»Gut, dann kannst du den Ü-Wagen nehmen. Die Polizei hat um elf Uhr eine Pressekonferenz angekündigt. In der Uni. Melde dich, sobald du was weißt. Wir nehmen dich live drauf, jederzeit. Und denk auch an die Nachrichten. Aber bitte«, Schneider beugte sich vor und legte beide Hände auf den Tisch, »bloß keine Vermutungen. Hier ist ein Mord passiert an einer international bekannten Persönlichkeit, noch dazu war er Jude. Also bleibt bei den Tatsachen. Ich will keinen Anruf vom Justitiar bekommen. Okay, lasst uns den Rest vom Tag durchgehen.«
Schneider zeigte mit dem Kinn auf Haarms. Der räusperte sich.
»Also wir sind heute früh um fünf …«
»Oh, es sei denn, du willst noch was sagen!«
Schneiders Worte richteten sich an Schulenburg. Ihm war gerade bewusst geworden, dass noch immer sein Chef neben ihm saß.
Schulenburg lächelte.
»Schon gut, Manfred«, er stand auf und ging zur Tür. »Ich muss dann auch wieder …«
Schon war Schulenburg verschwunden. Schneider und Haarms wechselten einen Blick. Schneider grinste, Haarms’ Laune sackte vollends in den Keller. Jetzt war ihm schon zum zweiten Mal an diesem Morgen der Auftritt vor dem Chef vermasselt worden.
N ach der Sitzung ging Emma zu ihrem Platz, fuhr den Computer herunter und packte ihre Sachen zusammen. Sie war schon unterwegs zum Fahrstuhl, als sie Schneider sah. Er verschwand gerade weiter vorn in seinem Büro. Emma warf einen Blick auf ihre Unterlagen, die Pressekonferenz begann in vierzig Minuten, sie hatte noch Zeit. Sie folgte Schneider.
An der offenen Tür blieb sie stehen. Schneider ließ sich auf seinen Stuhl fallen und suchte auf dem Schreibtisch unter Lagen von Papieren und Zeitungen nach seinen Zigaretten. Da sah er Emma und winkte sie herein. Sie ging zum Besucherstuhl, hob ein paar Bücher herunter und setzte sich. Schneider ging zur Tür und schloss sie. Emma sah ihn erstaunt an, er grinste.
»Wegen des Rauchens. Gilt auch für mich.«
Er stellte sich ans offene Fenster, zündete sich eine Zigarette an und hielt Emma die Schachtel hin. Sie schüttelte den Kopf. Er inhalierte tief und beobachtete sie.
Blass sah sie aus. Sie hatte Ringe unter den Augen, kam das von der letzten Nacht? Oder war sie krank?
»Was war das eben mit der Diabetesgeschichte?«
Emma strich sich die Haare aus dem Gesicht, versuchte, die Müdigkeit zu ignorieren.
»Es roch nach Aceton. Ich hab mit einem Bekannten telefoniert, Aceton strömt der Körper aus, wenn er überzuckert ist. Ich weiß noch nicht, wie das zusammenhängt, aber der Kommissar meinte, er sei ins Koma gefallen. Vielleicht hatte er nicht genug Insulin mit.«
»Mmmh.«
Schneider war hinter seinen Schreibtisch gegangen und notierte sich etwas. Er runzelte die Stirn und dachte laut.
»Ein Prominenter? Weltweit unterwegs auf Vortragsreisen? Der sollte doch ausgerüstet sein, oder?«
Als sie nicht antwortete, blickte er hoch. Sie schien die letzte Frage nicht gehört zu haben, war in seinen Anblick vertieft. Wie ertappt sah sie ihn an.
Dünn ist sie, dachte er, viel zu dünn. Hin und wieder hatte er ihre Stimme gehört, in ARD-Sammelbeiträgen über Kommunalwahlen und norddeutsche Sturmschäden. Klar und verständlich, vielleicht eine Spur zu selbstsicher. Jetzt waren sie
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