Wer im Trueben fischt
anbot. Der Mann lächelte und setzte sich mit einem Nicken. Emma hatte den Wellenchef Carl Schulenburg bisher nur auf der Internetseite des Senders gesehen. Seinen Ruf als unbescholtener Journalist hatte er sich in den 80er Jahren erarbeitet. Seine Reportagen über die Atommüll-Gegner hatten dafür gesorgt, dass die Leute von der Öffentlichkeit nicht mehr nur als Chaoten wahrgenommen worden waren.
Auch das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt hatte er mit ausgewogenen Kommentaren begleitet. Dafür war ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen worden.
Dem Verhalten der Kollegen nach schien er sich nicht oft auf den täglichen Sitzungen blicken zu lassen. Sebastian hatte sich in die Ecke neben Emma gequetscht.
Haarms raschelte nervös mit seinen Sendeabläufen.
»Also, wir sind um fünf mit den …«
»Augenblick, bitte.«
Schulenburgs Stimme drang butterweich durch den Raum.
»Ich denke, dieser Morgen ist so ungewöhnlich, dass wir einmal von der Tagesordnung abweichen können.«
Haarms erstarrte, während Schulenburgs Blick durch den Raum schweifte und schließlich an Emma hängenblieb. Er schaute kurz zu Schneider. Der nickte. Schulenburg legte die Hände aufeinander und blickte in die Runde.
»Wir werden heute in sämtlichen Agenturen mit der Geschichte unserer neuen Kollegin zitiert. Alle Zeitungen beschäftigen sich mit dem Todesfall, aber nur wir haben den Mord. Ich würde gerne wissen, wie es dazu kam. Bitte, Frau Vonderwehr, klären Sie uns auf.«
Emma fasste kurz zusammen, wie sie an dem Abend an die Informationen gekommen war. Als sie fertig war, blickte sie zufällig in Haarms’ Richtung und erschrak. Er sah sie wütend an. Vermutlich war er kein Freund solcher ungeplanten Aktionen in seiner Sendung. Emma zwang sich, in die andere Richtung zu schauen.
»Gut«, sagte Schulenburg und lächelte Schneider an, »wie wollen wir in der Sache weiter verfahren?«
Schneider räusperte sich.
»Wir müssen auf jeden Fall einen Nachruf senden. Und die Polizei will heute Morgen eine Pressekonferenz abhalten.«
Er wandte sich nach links an einen älteren Mann mit eisgrauen Haaren.
»Ernst, hast du was über Rosenbergs Buch gemacht?«
Der Mann nickte.
»Sicher, das war ja ein Riesenskandal. Rosenberg hat die akademische Welt ganz schön vorgeführt. Er hat klargemacht, dass jüdische Professoren hier bis in die 60er Jahre nicht erwünscht waren. Erinnert ihr euch noch an den Professor für Jura, war es Heidelberg? Kühling hieß der.«
Einige in der Runde nickten, und der Mann, den Schneider Ernst nannte, schnalzte mit der Zunge, als erinnerte er sich an einen besonderen Leckerbissen.
»Kühling ist ein bis dahin angesehener Mann, kurz vor der Emeritierung, Ehrendoktor, das ganze Pipapo. 1995 kommt Rosenbergs Buch raus. Darin schreibt er, dass der Mann die Rückkehr von ehemaligen jüdischen Kollegen boykottiert hat. Super Geschichte im Sommerloch. Der Professor war danach erledigt.«
Im Raum war es still. Schneider schaute in die Runde und sprach aus, was die meisten dachten.
»Ein Racheakt? Greifen unsere Hochschullehrer zu so drastischen Mitteln?«
Ernst grinste, zuckte mit den Schultern.
»Dieser Kühling ist vor ein paar Jahren gestorben. Es gab auch noch andere Klagen gegen Rosenberg, aber der ganz große Skandal ist ja jetzt schon fast zwanzig Jahre her. Wen sollte das jetzt noch interessieren?«
»Wissen wir sonst noch irgendwas über die Sache?«
Schneiders Blick blieb an Emma hängen. Ihr fiel das Telefongespräch mit Hannes ein.
»Ich glaube, dass Rosenberg Diabetiker war und dass sein Tod damit zusammenhängt.«
Erstaunte Stille im Raum. Ein Mann, der neben der Tür saß, beugte sich vor und fixierte Emma aus grauen Augen. Mit seinen Sommersprossen und den leicht abstehenden Ohren sah er aus wie ein in die Jahre gekommener Schuljunge.
»Also könnte es doch ein Unfall gewesen sein?«
Emma schüttelte den Kopf.
»Der Mann war eingeschlossen, sein Jackett mit dem rettenden Handy ist ihm weggenommen worden.«
»Vielleicht handelt es sich um einen politischen Anschlag, und Rosenberg war gar nicht persönlich gemeint.«
Alle Blicke wandten sich Bente, der Tagesreporterin zu. Sie war groß, um die vierzig und hatte lange dunkle Haare, die ihr den kerzengeraden Rücken herunterfielen. Ihre Stimme war tief und strömte Selbstsicherheit aus. Sie sah zu Schneider.
»Es hat in den letzten Tagen viele Angriffe auf die neue Uni gegeben, Anrufe, anonyme Briefe, Schmierereien an den Wänden.
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