Wer im Trueben fischt
ist beschäftigt. Wer sind Sie denn bitte?«
»Mein Name ist Emma Vonderwehr. Ich arbeite für BerlinDirekt und würde Frau Steiner gerne kurz sprechen.«
»Warten Sie.«
Die Frau am anderen Ende legte den Hörer zur Seite und entfernte sich. Emma hörte leises Gemurmel, eine zweite Stimme, lauter als die erste, aber dennoch nicht zu verstehen. Sie nahm ihren Pullover und roch unter den Ärmeln.
»Frau Steiner ist beschäftigt. Sie sollen später noch mal anrufen. Guten Tag.«
Wann denn später, wollte Emma rufen, aber da war die Leitung schon tot. Enttäuscht warf Emma das Telefon auf die Matratze. Sie ging ins Bad, wusch sich flüchtig und vermied es dabei, zu lange in den Spiegel zu schauen. Dann zerrte sie einen neuen Pullover aus dem Koffer. Ihr war nach einem englischen Frühstück mit Rührei und Kaffee. Sie schnappte sich Jacke und Tasche, stopfte Handy, die Zettel aus dem Ü-Wagen und ihr Portemonnaie hinein und verließ die Wohnung.
Die Gegend rund um den Alexanderplatz war dicht bebaut. Marode Plattenbauten standen eng an eng, unterbrochen von vierspurigen Schnellstraßen. Männer rissen das Pflaster mit Presslufthämmern auf, Autos hupten, wenn ein Fahrer vor ihnen zu spät auf das grüne Licht reagierte, die Straßenbahn klingelte erschrockene Passanten von der Straße. Emma lief bei Rot über ein Teilstück der Straße und wich in letzter Sekunde einem Rollstuhlfahrer aus, der auf der Mittelinsel gestrandet war. Als sie anbot, ihm über die Straße zu helfen, fauchte er sie nur wütend an und zeigte dabei seine gelbschwarzen Stummelzähne. Als die Ampel auf Grün umsprang, ging sie schnell weiter.
In den Nebenstraßen rund um den S-Bahnhof gab es viele kleine Restaurants und Imbisse. Emma wählte den Asiaten, ein Schnellrestaurant mit vier Tischen und einem Durchgang zu einem kleinen Supermarkt. Es roch nach altem Fett, aber der Laden hatte immer offen. Es war billig, der Kaffee wurde nachgefüllt, und der Kellner redete nicht.
Emma bestellte ein Eier-Reisgericht und Kaffee. Der Kellner, ein junger Asiate mit Irokesenschnitt, stellte das Essen wortlos vor sie hin. Um diese Zeit war sie hier die einzige Kundin. Sie schnappte sich die Zeitung vom Nachbartisch, aber es war eine mit fremden Schriftzeichen. Sie betrachtete das Bild vorne auf dem Blatt. Es zeigte eine sehr alte Frau. Sie lachte einen Mann an oder aus, der vor ihr kniete und seinen Mund zu einem lautlosen Schrei verzogen hatte. Die Kaiserin von China hat ihren Sohn enterbt, dachte sich Emma die Schlagzeile und legte die Zeitung wieder weg. Schnell schlang sie den Reis hinunter.
Nach drei Kaffee war sie bereit, es erneut bei Martha Steiner zu versuchen. Diesmal nahm niemand ab.
Beim Bezahlen fragte sie den Kellner, ob er wüsste, wo das Hansaviertel läge. Der Junge starrte sie erschrocken an. Unwillkürlich dachte Emma, dass er vielleicht nicht reden konnte, dass das, was sie als asiatische Höflichkeit eingeschätzt hatte, eine Behinderung war. Aber dann sagte er: »Kommen Sie«, und führte sie aus dem Imbiss auf den Bürgersteig.
»Hier lang geht’s zum Brandenburger Tor, ja? Dahinter fängt der Tiergarten an. Die Häuser darin, das ist das Hansaviertel.«
»Danke.«
Der Junge nickte, tastete nach seinem Irokesenschnitt und ging wieder zurück in den Laden.
Emma machte sich auf den Weg. Jetzt zum Feierabend war der Verkehr Unter den Linden noch stärker geworden. Auch auf den Bürgersteigen drängelten sich die Passanten aneinander vorbei. Emma schaltete auf Durchzug, sie ging stur geradeaus, wich niemandem aus und reagierte nicht auf wütende Rufe. Langsam lebe ich mich hier ein, dachte sie.
Nahe der Humboldt-Universität taten ihr die Füße weh. Sie setzte sich auf eine steinerne Bank, streckte die Beine von sich und wackelte mit den Zehen. Dann entdeckte sie das Fahrrad. Es stand in einer Seitenstraße an die Wand gelehnt, ein Herrenrad mit hoher Querstange, schwarz, mit Nabenschaltung, tiefen Profilen und mindestens zwanzig Gängen. Daneben stand ein Junge und schaute wachsam um sich. Vor sich hatte er auf einem kleinen schmutzigen Teppich weitere Angebote ausgebreitet. Ein paar Uhren, ein MP3-Player. Diebesgut, wettete Emma. Ihr waren in einem Jahr drei Fahrräder geklaut worden. Deshalb fuhr sie am Schluss nur noch ein altes Klappergestell ohne Gangschaltung. Das hatte sie Helene zurückgelassen. So ein Rad wie dieses hatte sie schon lange nicht mehr besessen.
»Wie viel?«
Der Junge betrachtete sie lauernd. Er war
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