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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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kaum älter als fünfzehn.
    »Hundert.«
    Nie, hatte sie sich geschworen, nie würde sie ein geklautes Rad kaufen.
    »Fünfzig.«
    Aber sie war pleite. Ein halbes Jahr hatte sie nicht gearbeitet. Und die Kaution und die drei Mieten im Voraus hatten ihren letzten Notgroschen aufgebraucht. Der Junge spuckte aus.
    »Spinnst du? Das ist ein total gutes Rad, hat meinem Onkel gehört. Ist leider verstorben.«
    Emma grinste. Sie hob die Hand, als würde sie jemandem zuwinken, der im Rücken des Jungen stand.
    »Hallo Herr Wachtmeister!«
    Der Junge fuhr herum.
    »Sehr witzig.«
    »Also was ist jetzt? Ich hab nicht mehr Geld.«
    Er überlegte. Dann hielt er die Hand auf.
    »Sechzig. Dafür kriegst du dann auch noch ein echt gutes Schloss dazu.«
    Pause.
    »Wird ja so viel geklaut.«
    Emma reichte ihm wortlos das Geld. Das neue Schloss klemmte sie sich auf den Gepäckträger. Sie schwang sich über die Querstange und trat in die Pedale. Das Rad fuhr sich leicht und schnell.
    Sie warf einen Blick zurück zu dem Jungen. Er hatte schon wieder einen Kunden, ein Mann hielt den MP3-Player in der Hand.
    Emma schaltete einen Gang hoch.
    Gleichmäßig schnell fuhr sie durch den Tiergarten. Die Blätter waren rot verfärbt, die Sonne schien durch die kaum entlaubten Bäume. Emma atmete durch, es roch nach Erde. Am Brandenburger Tor war sie abgestiegen und hatte noch mal nachgefragt, jetzt fand sie den Weg. Sie hielt vor einem Hochhaus mitten zwischen Rasenflächen. An der Fassade hing metergroß der schwarze Panther, der dem Haus den Namen gab. Unten im Café saßen die Leute in ihren Jacken draußen und hielten die Gesichter in die Sonne. Auftanken bevor der lange Winter kam.
    Emma legte ihren Kopf in den Nacken. 17 Stockwerke zählte sie bis zum Dachgeschoss. Oben schien eine Galerie um das Haus zu gehen, darüber schloss eine geschwungene Betondecke ab. Ihre Augen wanderten über die lange Reihe von Klingelknöpfen. Rechts, etwas abgesetzt von den anderen, stand der Name Martha Steiner.
    »Ja bitte?«
    Wieder diese junge Stimme vom Telefon. Emma sagte ihr Sprüchlein auf und wartete.
    »Ganz nach oben.«
    Die Tür summte, Emma stieß sie auf. In diesem Flur gab es kein Graffiti. Emma stieg in den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf mit der Zahl 18. Kurz darauf stand sie in einem gesichtslosen Treppenhaus. Kein Name an den Türen. Sie klopfte an die rechte. Einen Spaltbreit wurde geöffnet. Emma sah die Nasenspitze eines älteren Mannes, ein Stück schmuddeliges Hemd, trübe Augen. Es roch nach gebratenen Zwiebeln.
    »Martha Steiner?«
    Der Mann zischte etwas durch seine Zähne. Ein paar feuchte Spritzer landeten auf der Türschwelle.
    »Die gibt’s hier nicht.«
    Er streckte den Kopf etwas weiter raus und zeigte mit dem Kinn nach oben.
    »Höher.«
    Mit einem Knall schlug der Mann die Tür wieder zu. Emma horchte auf seine schlurfenden Schritte, die sich entfernten. Dann drehte sie sich um und ging die letzten Stufen nach oben. Sie hatte hier den Zugang zum Dachboden vermutet. Aber verborgen von einer Dachschräge öffnete sich jetzt das schmale Treppenhaus zu einem runden Vorzimmer. Emma schaute sich staunend um. Der Boden war mit einem Steinmosaik geschmückt, eine Vase mit Zweigen bis zur Decke stand in einer Nische. Sie drückte auf die elegante schwarze Klingel aus Bakelit.
    »Bitte warten Sie hier.«
    Ein junges Mädchen, ganz in Weiß wie eine Arzthelferin, verschwand mit Emmas Visitenkarte in der Wohnung. War sie eine Pflegerin? War Martha Steiner krank?
    »Ich sage es nur noch einmal. Füttere endlich die Vögel!«
    Die Stimme war alt, nicht laut, aber scharf. Emma versuchte durch den Spalt in der Tür zu linsen, da wurde sie mit Schwung aufgerissen. Emma stand vor einer alten Dame. Martha Steiner war groß, so dass Emma zu ihr aufsehen musste. Sie war mager, ihr Gesicht war von Falten durchzogen, ihre Hände, in denen die Visitenkarte steckte, stützten sich auf einen silbernen Stock. Kerzengrade stand sie dort, die Haare schneeweiß. Sie trug ein mintgrünes Kostüm, das ihr wie maßgeschneidert am schmalen Körper saß. Sie erinnerte Emma an eine alte Primaballerina. Fast erwartete sie, dass sie gleich in die Hände klatschte und ungeduldig »Hopp hopp!« rief.
    »Ich rede grundsätzlich nicht mit der Presse. Guten Tag.«
    Im Innern der Wohnung huschte das Mädchen in Weiß über den Flur. Martha drehte sich halb zu ihr herum.
    »Mach endlich deine Arbeit. Verwünschungen verbitte ich mir, auch die nur

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