Wer im Trueben fischt
gedachten.«
Das Mädchen blieb stehen. Erstaunt öffnete sie den Mund, überlegte dann aber und klappte ihn wieder zu. Emma konnte nicht anders, sie musste lachen. Martha drehte sich ihr wieder zu.
»Das ist der Vorteil einer guten Ausbildung. Sie und ich, wir müssen nicht jede Arbeit ausführen.«
Mitten in ihr heiseres Lachen sagte Emma:
»Ach, ich dachte, Sie hätten reich geheiratet?«
Das Lachen endete abrupt, die alte Frau starrte sie verblüfft an. Jetzt wirft sie mir die Tür vor der Nase zu, dachte Emma. Aber Martha Steiner zog eine Augenbraue gekonnt nach oben. Sie trat einen Schritt näher an Emma heran und betrachtete sie abschätzig. Schnell sagte Emma:
»Erzählen Sie mir von Tom Rosenberg. Sie waren anscheinend die Einzige, die Kontakt zu ihm hatte.«
Die alte Frau zögerte. Sie nahm Emmas Visitenkarte und hielt sie sich dicht vor die Augen.
»Warum ist hier denn alles durchgestrichen?«
Emma schluckte.
»Weil es nicht mehr gilt.«
»Ein Neuanfang?«
Martha Steiner lächelte. Tiefe Falten gruben sich um den Mund, Fächer umgaben ihre schönen grauen Augen.
»Nicht mal ein Baby fängt neu an. Die Toten sind in der Überzahl. Es gibt zu viel Vergangenheit.«
»Hat Tom Rosenberg nach der Vergangenheit gesucht?«
Die alte Dame sagte nichts, schaute sie nur fragend an. Emma machte vorsichtig einen Schritt nach vorn.
»Hat er nach seinem Berliner Großvater geforscht?«
Martha Steiner wies mit einem Kopfnicken ins Innere der Wohnung.
»Kommen Sie rein.«
Emma trat an ihr vorbei in den Wohnungsflur. Ihre Füße versanken fast sofort in dem wollweißen weichen Teppich. Heiß fiel ihr der Herbstmatsch an ihren Stiefeln ein. Sie trat auf das Fischgrät-Parkett und kehrte den Flecken den Rücken zu. Als sie die zwei Stufen hinunter ins großzügige Wohnzimmer ging, stand sie staunend vor dem Panorama, das die halbrunde Fensterfront ihr bot. Der ganze Tiergarten lag vor ihr. Weit hinten sah sie die gläsernen Türme am Potsdamer Platz, noch weiter entfernt blinkte der Fernsehturm am Alexanderplatz.
»Wie wunderschön!«
Martha Steiner sagte nichts. Sie stand gelassen im Türrahmen. Diese Reaktion schien ihr vertraut. Eine Bewegung im Flur ließ sie ihren Raubvogelkopf zur Seite drehen. Das Mädchen tauchte auf, in der Hand eine leere Schüssel. Sie schaute mühsam beherrscht an der alten Dame vorbei und verschwand im hinteren Teil der Wohnung. Dabei stolperte sie über eine Schwelle, was ihren Abgang weniger würdevoll erscheinen ließ als geplant. Martha lachte leise und drehte sich wieder Emma zu.
Die betrachtete mittlerweile die Einrichtung. Zierliche Sessel standen um einen niedrigen Tisch in geschwungener Form, den Boden bedeckte hier ein Teppich mit abstrakten Mustern. Eine schlanke Skulptur aus blank polierter Bronze stand zwischen den Sesseln. Die ganze Einrichtung lebte den Stil der 50er Jahre. Sie drehte sich zu der Gastgeberin um.
»Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Museum.«
Martha ging zu der Sitzgruppe und ließ sich vorsichtig auf dem Sessel nieder.
»Dieses Haus ist ein Museum. Das berühmte Panther-Haus der Bauausstellung von 1957. Was glauben Sie, was hier los war. Jahrelang standen die Leute mit den Fotoapparaten unten, haben geklingelt und wollten alles sehen.«
Mit einem gnädigen Nicken lud sie Emma ein, sich ihr gegenüber zu setzen.
»Der Inhalt sollte zur Form passen, das Innen zum Außen. Heutzutage achtet ja niemand mehr darauf. Alte Meister werden in Glaspaläste gesteckt und neue Bilder in baufällige Villen. Ich kann das nicht ausstehen.«
Emma setzte sich vorsichtig. Sie versuchte, den gedanklichen Sprüngen der alten Dame zu folgen. Ihr Blick fiel auf ein Hightech-Notebook, das auf einem Beistelltischchen neben einer Keramikobstschale in Form eines Blattes stand. Sie zeigte auf den Computer.
»Den gab es aber noch nicht in den 50er Jahren, oder?
Martha Steiner lächelte. Sie griff nach ihrem Stock. Damit reichte sie gerade bis zu dem Tischchen vor.
»Ich zeig Ihnen was. Würden Sie das Obst beiseitelegen?«
Emma hob die Schale vorsichtig hoch. Zwischen Äpfeln und Orangen sah sie das filigrane Netzmuster der Schale und ein Obstmesser mit blankem Teakholzgriff. So etwas hatte sie bisher nur im Kunstgewerbemuseum gesehen. Oder auf dem Flohmarkt in schlechterem Zustand. Langsam stellte sie es auf den Boden.
Martha Steiner drückte mit dem Stock auf einen Knopf an der Seite des Tischchens. Der Computer blinkte, die Festplatte wurde
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