Wer im Trueben fischt
hochgefahren. Die Tischplatte öffnete sich in der Mitte, eine angefangene Dame-Partie wurde nach oben geschoben. Die Tischplatte, nun vergrößert, schloss sich wieder. Emma zeigte sich gebührend beeindruckt, und Martha Steiner lachte jetzt richtig. Sie sah aus, als freute sie sich wie ein Kind darüber, ihre Besucherin überrascht zu haben.
»Nur weil ich Prinzipien habe, muss ich ja nicht von gestern sein.«
Emma beugte sich vor. Sie hatte eine Idee.
»Sie spielen gegen einen Computer?«
Die alte Dame nickte.
»Und er gewinnt nicht immer.«
»Spielen wir eine Partie?«
Martha Steiner schaute erstaunt auf.
»Glauben Sie etwa, Sie könnten gewinnen?«
Emma lächelte und zog ihre Tasche an sich.
»Vielleicht. Aber solange wir spielen, darf ich Sie interviewen. Einverstanden?«
Jetzt lächelte auch Martha Steiner. Sie sah jung aus dabei. Mit einer Geste bat sie Emma, das Spiel zu ihnen herüberzuholen. Als es vor ihr lag, drehte sie das Brett um 90 Grad.
»Ich nehme immer die Weißen. Ich hoffe, das ist Ihnen recht.«
Emma wühlte in der Tasche nach ihrem Aufnahmegerät. Sie drückte auf Aufnahme und stellte es an die Seite des Spiels.
»Kein Problem. Welchen Eindruck hatten Sie von Tom Rosenberg?«
»Weiß fängt nämlich an.«
Sie schob den ersten Stein diagonal nach vorn.
»Er war ein grüblerischer Mensch. Höflich, das schon. Aber verschlossen.«
Achtlos versetzte Emma einen schwarzen Stein.
»Was haben Sie mit ihm unternommen?«
»Die Sekretärin hat ein Programm vorbereitet. Daraus hab ich mir was ausgesucht.«
Wieder ein weißer Stein nach vorn.
»Lassen Sie mich überlegen. Wir waren in der Oper und im Berggruen-Museum. Schöne Sammlung, grässliches Haus.«
»Hat Rosenberg selber Vorschläge gemacht? Hat er sich nach etwas erkundigt?«
»Nein.«
Klack, klack. Die ersten schwarzen Steine wurden einkassiert. Ich muss schneller fragen, dachte Emma.
»Rosenbergs Großeltern lebten in Berlin. Hat er von ihnen erzählt?«
»Er erwähnte mal so etwas, ja.«
Langsam sammelten sich die schwarzen Steine am Spielfeldrand. Die alte Dame war jetzt voll auf das Spiel konzentriert. Emma hatte bisher nur einen weißen Stein gewonnen. Einen gegen viele. Trotzdem ärgerte sich Martha Steiner darüber. Man konnte es ihr ansehen. Emma gab die letzte Reihe frei. Durchzug für die weiße Dame.
»Hat er nach seinen Großeltern geforscht? Haben Sie ihm dabei geholfen?«
Mit einem leisen Klacken schlug der weiße Stein an der schwarzen Grundlinie an.
»Dame!«
»Haben Sie ihm geholfen?«
»Nein.«
Mit der Dame sauste Martha Steiner über das Spielfeld. Sie räumte die letzten schwarzen Steine ab.
»Ich hab ihm sogar abgeraten.«
»Warum?«
Zufrieden strich die Hausherrin über ihr Spiel.
»Was bringt es, der Vergangenheit nachzujagen.«
»Glauben Sie, dass Rosenberg Ihrem Rat gefolgt ist?«
Martha Steiner schaute ihr Gegenüber an.
»Vielleicht hätte er das besser tun sollen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Meine Liebe, das Spiel ist gespielt. Zeit zu gehen.«
»Glauben Sie, sein Tod hängt mit seiner Suche nach seiner Familie zusammen?«
Schwerfällig erhob sich die alte Dame. Mit einer Hand fegte sie unwirsch die letzte Frage beiseite. Emma blieb sitzen.
»Glauben Sie das?«
»Ich habe keine Ahnung. Und nun möchte ich Sie bitten zu gehen.«
Emma speicherte ihre Aufnahme und griff nach ihrer Tasche. Sie stand auf und folgte der alten Frau in den Flur. Zum Abschied reichte sie ihr die Hand.
»Danke.«
Der Händedruck von Martha Steiner war erstaunlich kräftig.
»Sie sollten sich auf das Spiel konzentrieren. Es war langweilig, gegen Sie zu gewinnen.«
Emma lächelte.
Die anderen sind für dich Gegner, dachte sie. Du unterscheidest nur zwischen denen, die du beherrschen kannst, und denen, die dir das Wasser reichen.
Sie drehte sich zur Treppe um. Die Tür hinter ihr fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss.
D er Kirschbaum musste beschnitten werden. Sonst trieb er im Frühjahr nicht aus. Edgar Blume warf noch einen prüfenden Blick in den Garten und stapfte dann die drei Stufen hoch bis zur Haustür. Er legte die Schultüte in die linke Armbeuge und streckte die rechte Hand aus, um die Klingel neben der getöpferten Familienanzeige zu drücken, ließ sie aber doch wieder sinken. Er starrte durch das Küchenfenster in die hell erleuchtete Küche. Katrin stand mit dem Rücken zum Raum an der Küchenzeile und schnitt etwas in einem Topf. Norbert saß am Küchentisch. Er erzählte
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