Wer im Trueben fischt
Viele lachten ins Bild, legten den Arm um die Schulter des Nachbarn oder stützten sich auf den Vordermann. Emma zeigte auf die Frau neben Rosenberg.
»Ist das Miriam?«
Klinke streckte die Hand nach dem Buch aus und zog es dicht vor seine Augen. Ohne Buch war die Nähe zwischen Blume und Emma noch spürbarer. Verlegen lehnte sie sich zurück.
»Seine Frau, meinen Sie«, fragte Klinke, »vermutlich. Ja, doch, sicher. Er hat ja den Arm um sie gelegt.«
Emma hatte nun wieder das Buch in den Händen und betrachtete die beiden. Die Frau war sehr jung, fast noch ein Mädchen. Sie trug ein helles Kleid mit dunklen Tupfen. Ihre Hände hielt sie vorne gekreuzt wie zum Gebet. Sie lachte und lehnte sich zurück in die Arme von Rosenberg, der sie zärtlich anschaute.
»Sie sehen glücklich aus, finde ich«, sagte Emma leise.
Klinke sah sie freundlich an.
»Ich glaube, es war eine schöne Zeit für sie. Das war ja, bevor die Nazis kamen.«
Emma konnte den Blick nur schwer von dem alten Foto lösen. Sie sehen so jung aus, dachte sie, so stark. Blume zog die Fotografie zu sich und betrachtete sie genau. Sie räusperte sich.
»Ich habe im Bauhausarchiv die Bauakte für das Zehlendorfer Projekt gesehen«, sagte sie. »Diese Häuser, die er da plante, waren die etwas Besonderes?«
Klinke ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Er fuhr mit den Augen die Buchreihen entlang.
»Er war auf der Höhe seiner Zeit. Sicher gab es auch andere, die im Bauhausstil planten. Das Besondere war, dass er diese Art der Bauweise massentauglich machen wollte.«
»Aber Zehlendorf war doch schon damals ein Ort für die Besserverdienenden, oder?«
»Das stimmt. Aber Gropius oder auch Mies van der Rohe bauten damals Villen, die sich nur sehr reiche Berliner leisten konnten. Individuell auf die Bedürfnisse der Besitzer zugeschnitten. Rosenberg wollte das Ganze serieller und damit günstiger anbieten. Er war eben ein Bauunternehmer, kein Architekt. Er war von den Ideen des Bauhauses fasziniert und ließ sich dort die Modelle anfertigen. Eine Kooperation, die vielversprechend war. Andere haben dann das serielle Wohnen im Bauhausstil verwirklicht, Le Corbusier zum Beispiel oder auch Max Taut. Rosenberg hatte die Idee dafür. Aber, wie gesagt, dazu kam es dann ja nicht mehr.«
Blume richtete sich auf. Den Finger presste er auf das Bild.
»Sagen Sie, der junge Mann hier, ist das nicht Heinrich Bohmann?«
Klinke hob erstaunt den Kopf. Er streckte die Hand aus.
»Zeigen Sie mal.«
Blume stand auf und reichte ihm das Buch.
»Hier, hinter den Rosenbergs.«
Klinke betrachtete lange das alte Foto. Er runzelte die Stirn. Emma versuchte, etwas zu erkennen, aber auf die Entfernung war es unmöglich zu sehen. Klinke lachte.
»Ich glaube, Sie haben Recht. Donnerwetter, das ist mir noch nie aufgefallen.«
»Die beiden haben zusammengearbeitet«, sagte Blume.
Klinke reichte die aufgeschlagene Seite an Emma weiter.
»Richtig. Bohmann besitzt ja auch das Zehlendorfer Baugelände.«
Emma betrachtete das Bild. Ein Junge grinste ihr entgegen, kaum älter als sechzehn. Er hatte abstehende Ohren. Eine Haartolle fiel ihm ins Gesicht. Emma legte das Buch vorsichtig auf den niedrigen Tisch vor ihr.
»In der Bauakte bin ich auf ein Kürzel gestoßen«, sie kramte in ihrer Tasche und holte ihr Notizbuch heraus, »hier ist es, 1933: 10 Jahre Pacht, 1943 i. E. ü.«
Sie schaute hoch und sah Klinke an.
»Können Sie damit etwas anfangen?«
Der Mann nickte.
»Das Verfahren war damals nicht unüblich. In der Baubranche steckt das Geld in den Grundstücken und in den Materialien. Das lässt sich schwer mitnehmen.«
»Wie meinen Sie das«, fragte Blume, »welches Verfahren?«
Klinke strich sich über seinen Schnurrbart. Er war jetzt in seinem Element, seine Zuhörer sahen ihn gespannt an.
»Viele glaubten, Hitler sei nur ein kurzer Spuk. Zwei, drei Jahre vielleicht, dann hätte er sich ausgeschrien. Für diese Zeit musste eine Lösung gefunden werden. Die jüdischen Bauunternehmer und Architekten waren ja ihres Lebens nicht mehr sicher. Das Bauhaus in Dessau musste schon 1932 auf Antrag der NSDAP schließen. Das moderne Bauen war plötzlich verpönt, man sah darin einen sozialdemokratischen Auswuchs der Weimarer Zeit.«
Emma runzelte die Stirn. Klinke lachte.
»Sie sehen etwas ratlos aus, aber das war damals wirklich eines der schlimmsten Schimpfwörter, die im Umlauf waren. Kassengift! Die Firmen wären ruck zuck bankrott gegangen. Also verpachteten die
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