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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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sie und gingen zum Auto. Blume fuhr los, er wirkte angespannt. Emma schaute nach vorn auf die regennasse Straße. Sie fühlte sich unwohl und wusste nach einer Weile, dass es nicht nur am Reisschnaps lag. Ein Bild tauchte vor ihr auf. Sie war fünfundzwanzig und hatte gerade ihr Diplom bekommen. Ihr Vater stand am Tor, er war verlegen. Sie ließ sich von ihm umarmen, zum ersten Mal, seit er weg war. In seinem Auto, das er an der Straße geparkt hatte, saß eine Frau.
    »Warum hast du deine Familie verlassen?«
    In die Stille hinein fiel der Satz. Sie drehte sich erschrocken zu Blume hin. Sie hatte das nicht sagen wollen. Blume schaute auf die Straße, er blinkte und bog ab. Sein Mund war ein Strich, zwischen den Augen stand wieder die Falte. Er bremste scharf am Straßenrand. Seine Hände blieben ans Lenkrad gekrallt.
    »Du bist ganz schön schnell in deinen Urteilen. Etwas zu schnell. Aber das scheint ja schon immer dein Problem gewesen zu sein.«
    Emma spürte, wie das Gift langsam in sie hineintröpfelte. Noch einen Moment ließ sie es zu, dann sagte sie leise:
    »Wie meinst du das?«
    Er schwieg.
    Es gibt keine offizielle Anklage, dachte sie. Also auch keine Akte. Woher weiß er dann davon?
    »Deine Visitenkarte«, sagte er leise. »Ein Kollege von mir ist nach Bremen gegangen.«
    »Über den kurzen Dienstweg informiert?«
    Ihre Stimme klang spröde. Jetzt drehte er sich zu ihr um.
    »Als du letzte Woche am Tatort, also als wir da fast zusammengeknallt sind, da hab ich gewusst, dass da noch was ist.«
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie stellte sich vor, was der Kollege ihm erzählt hatte, und schämte sich. Wie kann er mich jetzt noch mögen, dachte sie. Ihre Hand fuhr zum Türgriff.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich weiß, das war nicht fair. Aber vielleicht kannst gerade du verstehen, wenn man wissen möchte, was los ist.«
    Blume öffnete die Tür, blieb aber noch einen Moment sitzen. Er schaute Emma an. Wie ein unglücklicher kleiner Vogel saß sie da. Leise sagte er:
    »Ich beeile mich.«
    Er stieg aus, schloss die Tür und ging zum Kofferraum. Mit einem Fußball in der Hand ging er auf das Haus auf der gegenüberliegenden Seite zu. Emma folgte ihm mit den Augen. Als er die Gartentür öffnete, kam eine Frau von hinten aus dem Garten auf ihn zu. Sie lächelte Blume an, die beiden küssten sich auf die Wange. Sie hatte eine Haut wie warme Vollmilch, ihr blondes langes Haar glänzte. Eng nebeneinander gingen sie den Pfad entlang, bis sie hinter der Hausecke verschwanden.
    Emma machte sich am Innenfach zu schaffen. Auf, zu, auf, zu. Auf. Drinnen lagen CDs. Genesis, Dire Straits, Meat Loaf. Musik, die sie abgrundtief verabscheute. Was tu ich hier, fragte sie sich wieder. Auf einmal spürte sie, dass sie beobachtet wurde. Sie schaute zur Seite. Der Kopf des Jungen fuhr vom Seitenfenster zurück.
    Johann. Er hatte seinen weichen Mund, die schrägen Augen. Sogar die Stirnfalte zeichnete sich ab. Der Junge starrte sie böse an. Ich geb schon auf, dachte sie beim Aussteigen, du brauchst nichts zu sagen.
    Sie standen sich gegenüber und musterten sich. »Wie war das Spiel?«, fragte Emma. Sie wusste nicht mal, was er spielte. Der Junge schwieg. Sie schätzte ihn auf sieben oder acht. Er trug Jeans und einen blauen Rollkragenpullover, auf der Stirn prangte eine frisch aufgescheuerte Wunde. Seine Nase lief. Er zog sie hoch.
    »Papa ist bei Mama«, sagte er.
    »Ja«, sagte sie. Sie legte ihre Tasche über die rechte Schulter und ging den Weg zurück, den sie gekommen war. Der Wind blies immer noch kalt und feucht, sie zog die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf. Dabei schaute sie zurück. Der Junge stand noch immer am Auto. Als sich ihre Blicke trafen, drehte er sich um und lief zum Haus zurück.
    Der Weg zurück nach Mitte erschien ihr endlos. Immer wieder fiel ihr Kopf schwer auf die zerkratzte Scheibe der Straßenbahn, und nur wenn der Fahrer mit seiner schrillen Klingel Fahrradfahrer und Fußgänger warnte, wurde sie für wenige Minuten wach. Am Alexanderplatz verpasste sie beinahe den Ausstieg. Laut grölende Punks an der Weltzeituhr ließen sie hochfahren. Sie drängte sich an den einsteigenden Fahrgästen vorbei hinaus. Benommen suchte sie sich einen Weg durch die vielen Leute, die den Samstagnachmittag in den Einkaufszentren rund um den Alex verbrachten. Als ihr jemand eine Tüte vom Mediamarkt in die aufgeschürfte Stelle der Hüfte rammte, schnappte sie nach Luft. Ihr Gegenüber war schon im Getümmel

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