Wer im Trueben fischt
gefahren. Er kennt sich hier aus, dachte sie. Sein Auto, ein Opel Ascona, war dreckig und zugemüllt. Auf der Rückbank lehnte ein Kindersitz. Emma schluckte, als sie ihn sah. Sie stieg am Ziel schnell aus und knallte die Autotür zu, dass der alte Wagen zitterte.
»Frau Vonderwehr? Kommen Sie rein.«
Die Stimme über den Summer klang angenehm. Emma drückte die Tür auf. Blume folgte ihr.
»Professor Klinke? Guten Tag. Ich hoffe, es ist o.k., ich habe noch jemanden mitgebracht.«
Blume stellte sich an ihre Seite und streckte seine Hand vor.
»Mein Name ist Edgar Blume, ich ermittle in dem Mordfall.«
Der Historiker war einen Kopf kleiner als Blume. Er hatte eine blankpolierte Glatze, aber buschige Augenbrauen. Ein schwarzer Schnurrbart hüpfte, als er die Hand von Blume schüttelte. Sein dunkelblaues Hemd spannte über dem Bauch.
»Kommen Sie rein. Frau Vonderwehr hat mir am Telefon gesagt, dass es sich um den Fall Rosenberg handelt. Ich hoffe, ich kann Ihnen weiterhelfen.«
Die beiden folgten dem Mann in die Wohnung. Das Fischgrätparkett knarrte unter ihren Füßen. An den Wänden reihten sich die Bücherregale, eine Sessellandschaft in Beige dominierte das Wohnzimmer.
»So, hier hinein. Ich hab gerade Kaffee gemacht. Mögen Sie eine Tasse?«
Der Mann führte sie in sein Arbeitszimmer. Wieder lange Bücherreihen, ein übervoller Schreibtisch und eine kleine Sitzgruppe in Chrom und schwarzem Leder mit einem Couchtisch in der Mitte. Blume setzte sich als Erster in einen Sessel.
»Einen Kaffee nehme ich sehr gern.«
Klinke verschwand durch die breite Schiebetür. Emma stellte sich an das Regal und überflog die Buchtitel.
»Fachwerk in Franken. Herrje, worüber es Bücher gibt.«
Sie setzte sich auf die Couch.
»Ich schau mir gerne Häuser an, und Sie?«
Blume sah sie an.
»Menschen. Manche jedenfalls.«
Sie wurde rot, aber es war ihr egal. Sie fühlte sich wohl neben Blume. Alles rückte in den Hintergrund. Bremen, der Rundfunkrat, Ida und Helene, Schneider und das ungute Treffen bei der Baustofffirma. Sie spürte, dass sie auf einer Fährte war. Ihr Herz schlug kräftig gegen die Rippen, ihre Fingerspitzen prickelten. Trotz allem, dachte sie, nichts anderes will ich machen.
Klinke kam mit einem Tablett herein. Er verteilte Tassen, goss Kaffee hinein und setzte sich dann neben Emma auf die Couch.
»So, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Stört es Sie, wenn ich das Mikrofon mitlaufen lasse?«
Der Historiker lachte.
»Sie sagten, Sie sind vom Radio, nicht wahr? Damit habe ich gerechnet.«
Während Emma noch mit dem Aufbau des Mikrofonständers beschäftigt war, fragte Blume:
»Doktor Klinke, ist Ihnen der Name Carl Rosenberg ein Begriff?«
»Sicher. Rosenberg war ein einflussreicher Bauunternehmer in den 20er Jahren. Sein Haus in Lichterfelde hat Gropius gebaut. Es war berühmt, weil es fast ganz aus Holz gebaut war. Sie finden es jetzt noch in vielen Lehrbüchern. Leider ist es im Krieg zerstört worden.«
Jetzt war Emma so weit, sich einzuschalten. Sie beugte sich vor.
»War Rosenberg ein reicher Mann?«
»Zu dieser Zeit auf jeden Fall. Aber wie jeder gute Unternehmer hat er sein Vermögen in die Firma gesteckt.«
»Und zum Beispiel Bauland in Zehlendorf gekauft.«
Klinke nickte.
»Das war damals schon viel wert. Heute natürlich ein Vielfaches.«
Er trank einen Schluck Kaffee. Genießerisch schloss er die Augen. Ein Rest Milchschaum hing an seinem Schnurrbart.
»Rosenberg kannte Gott und die Welt. Viele moderne Künstler waren bei ihm zu Gast, Gropius natürlich, der Maler Max Pechstein und George Grosz. Sogar Einstein soll mal da gewesen sein.«
Er strich sich die Milch aus dem Bart und lächelte.
»Warten Sie, vielleicht hab ich sogar noch …«
Er stand auf und ging suchend am Regal entlang. Schließlich zog er ein schweres Buch heraus. Er setzte sich wieder, blätterte und hielt Emma dann eine Seite hin. Blume beugte sich zu ihnen hinüber.
»Sehen Sie, das war bei einem Richtfest, Mitte der 20er Jahre. Hier, der kleine Stämmige, das ist Rosenberg.«
Emma beugte sich über das Buch und betrachtete die Schwarz-Weiß-Fotografie. Obwohl sie brannte, sich das Bild genauer anzuschauen, nahm sie die Nähe von Blume wahr. Er roch nach Mann, nach Seife und ein bisschen nach Kaffee. Sie beugte sich noch tiefer über das Bild. Über hundert Menschen standen oder knieten dicht gedrängt auf dem Foto. Die Männer trugen Anzüge und steife Kragen, die Frauen helle Kleider mit Schärpen.
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