Wer ist der andere, Alissa
Frisch geschieden, mittellos und ohne Ausbildung hatte sie vor zwanzig Jahren bei Tex-Con in der Briefabfertigung als Hilfskraft angefangen. Doch sie war entschlossen genug gewesen, sich in Abendkursen fortzubilden und sich in der Firma ihren Weg nach oben zu erarbeiten ... bis zu ihrer heutigen leitenden Position in der Personalabteilung. Jolene hielt demnach nur wenig von dem müßigen Leben der Reichen.
"Was würde ich darum geben, eine solche Figur zu haben", seufzte Dorothy. "Stattdessen muss ich mich mit strammen Waden und ausladenden Hüften bei einer Größe von ein Meter fünfzig begnügen. Das ist einfach nicht fair."
"Nun hör mal, Dorothy, du hast doch eine absolut nette Figur." Die immer mütterliche Anne sprang ihrer Freundin bei. "Du bist nur ein wenig rundlich, das ist alles. Und glaub mir, es gibt genügend Männer wie meinen Brian, die es gern haben, wenn eine Frau ein wenig Fleisch auf den Knochen hat."
"Ein wenig Fleisch? Meine Süße, ich trage hier fast eine ganze Metzgerei mit mir herum."
"Was ist denn schon dabei? Jeder kann die Figur eines Models haben, wenn er einen persönlichen Trainer hat und den ganzen Tag nichts Besseres zu tun." Dorothy warf Jolene einen kurzen Blick zu. "Vielleicht. Du musst aber zugeben, dass Diedre Hollingsworth wunderschön ist."
"Na und? Pah! Dirks Frauen sind alle wunderschön."
"Wen wundert's? Ich meine, seien wir doch mal ehrlich. Frauen umschwärmen diesen Mann wie die Motten das Licht. Er hat eben die freie Wahl. Stimmt's?"
"Und ob das stimmt!" Margos Augen bekamen einen träumerischen Glanz. "Ich wünschte nur, seine Wahl würde irgendwann mal auf mich fallen. Was für ein Mann!"
"Du sagst es", stimmte Annie atemlos zu. Sie ließ die Wimpern flattern. "Es sind seine Augen ... der Blick in seinem steinernen Gesicht geht mir einfach unter die Haut. Sobald er in meine Nähe kommt, ich schwör's euch, da überläuft es mich." Alissa war da absolut gleicher Meinung. Seit einiger Zeit konnte sie nicht mit Dirk im selben Raum sein, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Obwohl sie es keineswegs zugeben würde. Auch nicht ihren Freundinnen gegenüber.
"Hey! Und ich dachte immer, du wärst glücklich verheiratet!"
"Das bin ich auch." Annie warf Jolene einen hochnäsigen Blick zu. "Aber nur weil ich verheiratet bin, heißt das noch lange nicht, dass ich blind bin. Oder tot."
"Ich weiß, was du meinst." Dorothy seufzte. "Grüblerische Männer haben so etwas Anziehendes. Sie sind so geheimnisvoll, so ... so faszinierend."
"Hm ..." Annie stützte das Kinn in die Hand. "Er ist der einzige Mann, der es schaffen könnte, mich von meinem Brian wegzulocken."
Jolene schnaufte verächtlich. "Vergiss es. Während der ganzen Zeit, die ich in dieser Firma bin, hat Dirk kein einziges Mal eine ernsthafte Beziehung zu einer dieser Frauen, mit denen er sich trifft, gehabt. Sie bleiben gewöhnlich nicht länger als ein halbes Jahr seine Freundinnen. Allerhöchstens."
"Ein Mann ganz nach meinem Herzen", sagte Margo gedehnt. "Ich persönlich finde, dass es absolut schrecklich ist, sich für ewig an einen Mann zu binden."
"Ach, ich weiß nicht." Annies rundes Gesicht nahm einen versonnenen Ausdruck an. "Ich finde es eigentlich ziemlich romantisch."
Margo musterte ihre jüngere Kollegin ironisch. "Natürlich denkst du so. Ich frage mich nur, wie du nach zehn Ehejahren und zwei Kindern noch immer so vernarrt in deinen Mann sein kannst."
"Das ist leicht. Ich liebe ihn ja auch. Was dir nur solche Schwierigkeiten macht, ist dein Sarkasmus. Du hast keine blasse Ahnung, worum es in der Liebe wirklich geht." Annie rümpfte die Nase. Alissa zwinkerte ihr zu. "Hör nicht auf Margo. Wir alle wissen, was für eine Zynikerin sie ist."
Die dreimal geschiedene Margo Dutton war die Assistentin des Personalchefs bei Tex-Con. Sie wirkte weltgewandt und raffiniert, und nach ihren eigenen Worten gab sie sich nur mit Männern ab, um sich von ihnen im Bett befriedigen zu lassen. Alissa nahm allerdings an, dass Margo sich mit ihrer Einstellung nur vor noch weiteren schmerzhaften Enttäuschungen schützen wollte.
"Das stimmt nicht. Ich bin nur Realistin."
"Ach so." Alissa verkniff sich ein Lächeln und schaute am Tisch in die Runde, während sie eine Gabel voll Salat nahm. Manchmal wunderte sie sich noch immer darüber, dass fünf so unterschiedliche Frauen so gut befreundet sein konnten. "Dass Dirks Affären alle so kurz und knapp ausfallen, ist übrigens nicht das einzig Bemerkenswerte daran",
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