Wer lügt, gewinnt
Ich kann nicht alle Bücher lesen, die abgegeben werden. Wenn da geschrieben steht, daß Butler als Mörder verboten sind, na gut, dann sind sie eben verboten. Wir müssen die Regeln der Nordamerikaner befolgen. Stoppen Sie das Buch und fangen Sie ein neues an.
Ich habe schon vierzig Seiten geschrieben, sagte ich, das ist unfair. Sie haben das Exposé genehmigt, sagte ich. Ich diskutiere nicht mit Ihnen, gab er zurück. Ich will bis heute nachmittag ein neues Exposé auf meinem Tisch liegen haben. Innerhalb von sieben Tagen muß das Buch fertig sein. Sieben Tage? fragte ich, das ist unmöglich, ich brauche zwei Wochen, das ist unsere Abmachung. Sie haben schon sieben Tage mit dem Schreiben dieser Geschichte hier verplempert, sagte er. Und außerdem: Simenon hat seine Bücher in einer Woche geschrieben. Edgar Wallace hat eine ganze Erzählung in zwei Tagen verfaßt. Zé Negráo von der Reihe Wildwestpferde schreibt eins pro Woche. Paulinho von der Reihe Alles Blei macht einen Western in zehn Tagen. Die beiden sind ganz wild darauf, für mich zu arbeiten. Ich bin der einzige, der pünktlich zahlt, prompt bei Abgabe. Stimmt’s oder nicht? Na also. Genau. Sie müssen schreiben. Setzen Sie sich auf Ihren Hosenboden und schreiben Sie. Mehr müssen Sie nicht tun. Und jetzt können Sie gehen.
Immer in Eile, sagte Ingrid, die Sekretärin, als ich an ihrem Schreibtisch vorbeiging, ich würde gerne irgendwann mal mit Ihnen reden, darf ich Sie in den nächsten Tagen anrufen?
9
Zu Hause angekommen geriet ich mitten in einen Kampf zwischen meiner Mutter, die mit ihrem Megaphon am Fenster stand, und der Frau des Hausmeisters mit ihrem Dampfreinigungsgerät und ihrem Tick, den Bürgersteig keimfrei zu machen. Der Dreck ist nicht an den Laternenpfählen, sagte meine Mutter. Um die Seele geht es. Es nutzt nichts, die Laternen sauberzumachen, wenn das Gewissen nicht rein ist. Halt die Klappe, verrückte alte Schachtel. Und sagen Sie Ihrem Sohn, er muß noch die Betriebskosten für die Monate bezahlen, die Sie im Rückstand sind.
Ich nahm meiner Mutter das Megaphon aus der Hand und zog sie vom Fenster weg.
Über mich hat nur Jesus Christus zu bestimmen. Sollen die Sünder doch in der Hölle schmoren. Gib mir mein Megaphon zurück.
Meine Mutter war in dieser Woche besonders schlecht drauf. Sie predigte vom Fenster, die Nachbarn beschwerten sich. Wenn sie religiös ist, meinte mein Onkel Alberto, der Arzt ist, als ich ihn anrief und um Rat fragte, wenn sie an Gott glaubt, dann hat sie Glück. Du machst dir nicht die geringste Vorstellung davon, was es heißt, ein Kind zu verlieren, so wie sie, du hast keine Kinder, du kennst diese Art Liebe nicht. Wenn sie Gott hat, um so besser für sie, Gott und Geld muß man nutzen, solange man sie hat, erklärte er. Ich kann mich noch an diesen Friedensnobelpreisträger erinnern, der erzählte, wie ihm sein Glaube abhanden gekommen ist, ich habe in irgendeiner Zeitschrift davon gelesen, der Mann war in Auschwitz gewesen oder so, er hatte ein Massaker an Kindern mit angesehen, wo ist Gott? hatte jemand gefragt. Und eine Stimme in ihm antwortete, Gott hängt am Galgen. Ich mußte niemals kleine Kinder sterben sehen, um zu wissen, daß es Gott nicht gibt, sagte Onkel Alberto. Ich beneide deine Mutter. Bei mir ist es ganz schlimm. Nicht an Gott zu glauben bedeutet ja nicht, daß man Gott nicht vermißt. Ich bin folgender Ansicht: Eine Mutter, die ihren zweiundzwanzigjährigen Sohn durch Leukämie verliert, ist zu allem fähig. Ich habe deine Mutter am Sarg gesehen, das heißt, ich habe das gesehen, was von ihr übrig war; man hatte den Eindruck, daß deine Mutter sich vor unser aller Augen auflöste; einen so großen Schmerz kann ich nicht ertragen, lieber will ich sterben. Ich bringe es nicht mehr über mich, euch zu besuchen. Mercedes bekniet mich ständig, gehen wir hin, laß uns deine Schwester besuchen, Rosário braucht dich. Ich halte es nicht aus, Rosário zu sehen. Ich schaue sie an und sehe auf ihrer Stirn geschrieben: Ich leide wie ein Hund. Grauenvoll. Ich verabreichte meiner Mutter das Beruhigungsmittel, das Onkel Alberto ihr verschrieben hatte, blieb im Zimmer, bis sie eingeschlafen war.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, auf Fúlvia zu warten, aber sie tauchte erst gegen Abend auf.
Sie setzte sich auf meinen Schoß, stellte meinen Computer aus. Schau mal, was wir hier haben, sagte Fúlvia und zeigte mir einen Zettel mit allerlei Notizen. Das war gar nicht so einfach,
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