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Wer lügt, gewinnt

Wer lügt, gewinnt

Titel: Wer lügt, gewinnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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Sie einen Kaffee? fragte er, Ingrid, bringen Sie uns bitte zwei Kaffee hierher. Und? Haben Sie’s nicht geschafft? Nein, habe ich nicht, sagte ich.
    Ingrid kam mit zwei Einwegbechern.
    Ich weiß, was mit Ihnen los ist, fuhr Wilmer fort, das nennt man schöpferische Krise. Ich dachte, Sie wären einer der wenigen, die in der Lage sind, die Torturen der schöpferischen Arbeit durchzustehen. Schreiben ist die Hölle. Jeder andere Beruf ist besser. Müllmann zum Beispiel. Manchmal sehe ich einen dieser Kerle im Regen oben auf so einem Laster voller Dreck und denke, dieser arme Teufel hat wenigstens Samstag und Sonntag. Es gibt niemanden, der die Schriftsteller so gut kennt wie ich. Das einzige Buch, das ihr ohne Probleme schreibt, ist euer erstes. Beim zweiten werdet ihr mit der Sinnkrise konfrontiert, um zu sehen, ob ihr wirklich Schriftsteller seid oder ob es nur Mist war. Beim dritten Roman kommt die Stilkrise. Beim vierten die Krise der Suche nach dem Stil des ersten Buchs. Es ist wie mit der Ehe, eine Krise nach der anderen. Der Vorteil ist, daß die Ehe ein Ende hat. Ich arbeite seit zehn Jahren mit Schriftstellern und kann bestätigen, daß ihr verteufelt viel durchmachen müßt. Paulinho rief mich letztes Jahr eines Morgens früh an und erzählte mir, er könne nicht schreiben. Heute sitzt er da und produziert die besten Western im Verlag. Sie befinden sich in einer Krise. Das macht nichts. Ihre Bücher haben mir immer sehr gut gefallen, Sie haben eine gute Schreibe, haben einen ausgeprägten Stil, das sage ich immer wieder. Aber Ihnen fehlt das nötige Adrenalin.
    Gleich beim Reinkommen war mir klar gewesen, daß dieser Wichser mich vor die Tür setzen wollte. Das nötige Adrenalin, verstehen Sie? Der eine hat’s, der andere nicht, so ist das eben, sagte er. Ich hatte das Spielchen kapiert, seit er mir den Kaffee angeboten hatte. Er bot mir nie Kaffee an. Wilmer kostete schon die Vorfreude aus, mich rauszuschmeißen, es gibt einen Typ von Arschloch, dessen größtes Vergnügen darin besteht, zu seinen Untergebenen zu sagen, Sie sind entlassen. Aber Sie haben auch sehr viele Qualitäten, sagte er, Ihnen fehlt zwar das Adrenalin, aber zum Ausgleich dafür haben Sie, hören Sie, Wilmer, unterbrach ich ihn, diesen Gefallen wollte ich ihm nicht tun, passen Sie auf, Wilmer, ich möchte hier nicht länger arbeiten, machen Sie mir meine Abrechnung fertig. Wie bitte? fragte er überrascht. Seine perplexe Stimme versuchte freundlich zu klingen, ich wollte Ihnen gerade das Angebot machen, Chefredakteur der Zeitschrift Selbst ist der Millionär zu werden, die wir in zwei Monaten herausbringen wollen, sagte er, Sie wissen ja, daß Garderobe zum Selbernähen und Kosmetik zum Selbermachen sich gut verkaufen. Die Leute sind von diesem Fieber erfaßt, alles selber machen zu wollen. Wir werden auch noch Eis zum Selbermachen und Selbersparen leichtgemacht herausbringen. Sind Sie sicher, daß Sie gehen wollen? Ich hatte Lust, mir selbst eins in die Fresse zu hauen.
    Wollen Sie sich’s nicht noch mal überlegen? Denken Sie an das Gehalt. Es ist ein gutes Gehalt. Und Sie brauchen nicht zu schreiben. Nein, sagte ich, ich will meine Abrechnung.
    Ich dachte, er würde insistieren, woher sollte ich’s auch wissen? Wilmer kam zu dem Schluß, daß es für mich keine Umkehr gab. Aber der Wichser hatte falsch verstanden, am Ende war ich der Angeschmierte.
    Sprechen Sie mit Fuinha von der Buchhaltung, sagte er und griff nach dem Telefonhörer, ich sage ihm gleich Bescheid, daß Sie vorbeikommen.
    So ist das Leben. Ohne Arbeit, von einer Frau, die Schlangen züchtete, um den Verstand gebracht, darauf wartend, daß ein Mann sterben würde, ohne Geld, ohne Perspektive, und mit einer Mutter zu Hause, die von Tag zu Tag wahnsinniger wurde. Und dabei den Hochmütigen mimen. Das reichte.

16
    Den gesamten Montagnachmittag über rief Fúlvia nicht an. Abends ging ich zum Kiosk und kaufte ein paar Zeitungen. Nichts. Es war undenkbar, daß eine derartige Nachricht nicht in der Zeitung stehen sollte. Ich kannte die Redaktionen noch aus meiner Zeit als Schlußredakteur, eine solche Nachricht wog zum Beispiel zehn Verkehrsunfallmeldungen auf. Ich kann mich noch an einen Jungen erinnern, der beinahe von einem Krokodil aufgefressen worden wäre, sie waren begeistert davon. Eine ganze Woche lang wurde über Krokodile geredet, Interviews mit dem Arzt, der den Jungen behandelt hatte, mit den Eltern, mit dem Kleinen, und zu ihrem Glück hatte sich der

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