Wer lügt, gewinnt
armseligen Erscheinung in meine Wohnung führte. Ich bat ihn herein. Wir sind sehr dankbar für das, was Ihre Frau Mutter mit den fliegenden Händlern gemacht hat, sagte er. Sie hat dem Durcheinander und dem illegalen Handel in unserer Straße ein Ende bereitet. Aber was die Predigten angeht, wissen Sie, Herr Guber, ich bin ja für Ordnung. Obwohl ich katholisch bin, wenn auch nicht aktiv, glaube ich, daß wir unsere Religion niemandem aufzwingen dürfen. Außerdem ist Ihre Frau Mutter keine, sagen wir, kirchliche Autorität, sozusagen. Ich möchte niemanden kränken, aber vor Gott, oder besser vor der Kirche, ist Ihre Frau Mutter ein Niemand. Darin müssen Sie mir zustimmen. Wer ist Ihre Frau Mutter, um Gottes Wort zu verkünden?
Er packte gleich die Gelegenheit beim Schöpfe, um die ausstehenden Betriebskosten von mir zu kassieren. Dieser Mensch ist ein unverschämter Lümmel, sagte meine Mutter, als ich ihr von dem Besuch berichtete. Das heißt, Kakifruchtverkäufer sind erlaubt, Dampfreiniger sind erlaubt, Scherenschleifer sind erlaubt, gehupt werden darf, alles ist erlaubt. Aber Gottes Wort will keiner hören. Geh hin und sag diesem Dienstmädchenbeschäler, daß ich nicht aufhören werde. Wer über mich zu bestimmen hat, ist Gott.
Ich überlegte den ganzen Tag, ob ich aus dem Haus gehen und mir Arbeit suchen sollte; der Stellenanzeigenteil der Zeitung lag aufgeschlagen da, lauter Mist. Was das Hocken neben dem Telefon und Auf-den-Boden-Starren anging, war ich spitze. Die Zeit wollte nicht vergehen. Ich beschloß, einen Schlußstrich zu ziehen. Halb drei. Ich nahm alle Bücher, die auf dem Boden herumlagen, und fing an, sie in alphabetischer Reihenfolge ins Regal zu stellen. Dann nahm ich eine Reinigung meines Schreibtisches vor, säuberte die Tastatur meines Computers mit einem Wattestäbchen, wischte den Bildschirm des Monitors mit Spiritusreiniger ab, räumte meine Papiere auf. Halb vier. Ich holte den Korb mit der Schmutzwäsche, füllte Waschpulver in die Waschmaschine, wusch alle Wäschestücke und wrang sie aus. Damit bekam ich eine weitere halbe Stunde herum. Den Rest des Tages verbrachte ich in der Horizontalen, das Telefon neben mir.
Am Abend, nachdem ich das Essen für meine Mutter zubereitet und das Geschirr abgewaschen hatte, wußte ich nicht mehr, wohin mit mir, diese Geschichte, die in mir vor sich hin gärte, ich hielt es nicht mehr aus. Wir haben einen Menschen umgebracht, und sie ruft mich nicht einmal an, um mir mitzuteilen, daß er gestorben ist. Ob sie wohl bei der Totenwache war? Eine Totenwache macht viel Arbeit, überlegte ich, die Vorbereitung, den Toten waschen, ihn anziehen, die Blumen, die Beisetzung. Ich habe nie an diese fadenscheinige Ausrede geglaubt, daß es keine Möglichkeit zum Telefonieren gegeben hat. Eine Frau, die verliebt ist, läßt ihren Ehemann durchaus alleine im Sarg liegen und geht, um mit ihrem Geliebten zu telefonieren. Ich werde sie anrufen, überlegte ich, griff nach dem Telefon, ist mir völlig egal, ich rufe jetzt im Krankenhaus an, lasse Fúlvia ans Telefon holen, verlange von ihr eine Erklärung. Als ich den Hörer abnahm, fiel mir auf, daß die Leitung tot war.
Ich ging zum Fernsprecher an der Ecke und rief bei der Telefongesellschaft an. Ihr Telefon ist abgestellt worden, weil die Rechnung nicht bezahlt worden ist, wurde mir mitgeteilt.
Ich rief im Krankenhaus an und ließ Fúlvia holen. Es dauerte, bis sie an den Apparat kam. Ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne, sie sagte, sie könne nicht sprechen. Ich fing zu schreien an, du wirst sehr wohl reden, meine Liebe, schrie ich, alles wirst du mir erzählen, ich drehe hier langsam durch ohne Nachrichten, immer mit der Ruhe, sagte sie, zum Teufel mit der Ruhe, schrie ich, du kannst gleich hingehen und alles ausplaudern, wenn du nicht willst, daß ich noch in dieser Sekunde zu diesem beschissenen Krankenhaus fahre. Sie sagte, Ronald sei aus dem Koma erwacht, er befinde sich außer Gefahr. Was für eine Scheißjararaca ist das bloß gewesen? fragte ich, und das dämlich dreinschauende Mädchen, das hinter mir stand und darauf wartete zu telefonieren, sah mich erschrocken an, bei mir dauert es noch länger, sagte ich zu ihm, gehen Sie zu einer anderen Telefonzelle, Fúlvia, sagte ich, hallo, ich kann jetzt nicht sprechen, antwortete Fúlvia, Ronald wird gerade in die Chirurgie verlegt, sie werden ihm das Bein amputieren.
Halt die Leitung frei. Geh nicht aus dem Haus. Ich rufe dich an.
Ich kehrte zurück
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