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Wer lügt, gewinnt

Wer lügt, gewinnt

Titel: Wer lügt, gewinnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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Unfall auch noch in Miami ereignet, in Brasilien ist Miami das Größte, es war der Renner. Ronald war noch am Leben, das war es, was das Schweigen der Zeitungen mir mitteilte. Es gibt eben Leute, bei denen dauert es, bis sie sterben.
    Als ich nach Hause kam, war keine Nachricht von Fúlvia hinterlassen worden. Nur Ingrid hatte angerufen und sich angeboten, mich bei einem Verlag für Selbsthilfeliteratur vorzustellen. Ich überlegte, ob ich mich bedanken sollte, aber ich wollte das Telefon nicht blockieren, womöglich rief Fúlvia an. Dieses Mädchen, diese Ingrid, ich schenkte ihr nicht allzuviel Beachtung, und dabei sorgte sie sich um mich, rief mich an, wollte wissen, was mit mir war, und mir eine Arbeit besorgen.
    Die folgenden Tage waren genauso beschissen. Todesfälle. Ihre Söhne, Enkelkinder und Schwiegertöchter geben tiefbewegt bekannt, daß Ruth dos Santos am 1. verstorben ist. Alice Alves, 90 Jahre alt, Witwe. Sie hinterläßt Kinder. José Eustáquio Martins de Souza, Witwer. Rafael Scon. Neunzehn Tote. Alle Leute starben, außer Ronald. Ich las jeden Morgen die Todesanzeigen, noch vor den Stellenanzeigen. Den Tag begann ich bereits in gereizter Stimmung. Fúlvia rief nicht an. Im Krankenhaus war von der Tante am Telefon immer der gleiche Text zu hören, das klinische Bild des Patienten ist weiterhin unverändert, mein Herr.
    Ich setzte den Fuß nicht vor die Tür. Meine Zeit verbrachte ich neben dem Telefon, las, wartete, sah fern, ernährte mich schlecht, und mein Geld ging zur Neige. Am Donnerstag hielt ich die Warterei nicht länger aus. »Autor erotischer Erzählungen gesucht. Gute Bezahlung.« Ich schnappte mir die Zeitung und ging mich um mein Leben kümmern.

17
    Die Zeitschrift Ohne Tabu gehörte einem Argentinier namens Santamaria. Mir wurde ein Exemplar zur Ansicht in die Hand gedrückt, während ich im Vorzimmer wartete. Ich blätterte drin herum. Drittklassige Primitivität, Vaginas, Penisse, Beischlafszenen und Oralverkehr.
    Santamaria empfing mich in seinem Büro und musterte mich mißtrauisch. Vielleicht sah ich nicht besonders aus. Mir fiel auf, daß er es vermied, mir die Hand zu geben. Alle unsere Autoren müssen die Stechuhr benutzen, erklärte Santamaria. Die Arbeitszeit ist von zwölf bis zwanzig Uhr. Ich gestatte nicht, daß irgendwer sich Arbeit mit nach Hause nimmt. Auch keine Fotos. Wir tragen Anzug und Krawatte bei der Arbeit. Es ist untersagt, in der Redaktion Vulgärausdrücke zu verwenden.
    Er übergab mir eine Mappe mit Fotos von einem schwarzen Liliputaner, der es mit einer Blondine trieb.
    Ich weiß, daß Sie ein Mann mit Erfahrung sind, aber wir müssen Ihre Schreibe analysieren. Der Test ist einfach. Es reicht, wenn Sie eine Geschichte zu diesen Fotos schreiben. Sechzig Zeilen höchstens.
    Wir gingen in die Redaktion, drei junge Männer in Anzug und Krawatte schrieben auf der Schreibmaschine. Sie können diese hier nehmen, sagte Santamaria zu mir und zeigte auf eine elektrische Olivetti. Kaum daß er gegangen war, wollte einer der Schreiberlinge meine Fotos sehen.
    Da kann man richtig was draus machen, sagte einer. Wissen Sie, wie Ihre Geschichte aussehen muß? Es muß gevögelt werden, daß sich die Balken biegen. Das ist Vorschrift. Haben Sie sich schon ein Pseudonym zugelegt?
    Es gelang mir gar nicht mal so schlecht. Ich schrieb eine Geschichte über die Liebe zwischen einem Liliputaner vom Zirkus und einer Kassiererin, die noch Jungfrau war; nachts, wenn alle schlafen gegangen waren, schlüpften die beiden in den Löwenkäfig, um sich zu lieben.
    Bocage Manuel? Ist das Ihr Pseudonym? fragte der Verleger, als er am Ende des Tages meinen Text entgegennahm. Ja, antwortete ich, aber ich kann es ändern. Santamaria las die Erzählung schweigend durch, räusperte sich von Zeit zu Zeit und wollte mich anrufen, sobald er eine Antwort hätte. Er rief nicht an. Weder er noch Fúlvia.
     
    Am darauffolgenden Tag wurde ich davon wach, daß es klingelte. Ich schaute auf den Wecker, acht Uhr. Die Quälerei hatte ein Ende, Ronald war gestorben. Das ist Fúlvia, überlegte ich, wer sonst sollte wohl morgens um acht bei mir an der Wohnungstür klingeln? Jetzt, dachte ich und sprang aus dem Bett, jetzt kommt der einfachere Teil, die Totenwache, die Beisetzung und fertig. Ich öffnete die Tür, guten Morgen, sagte der Hauswart, entschuldigen Sie die Störung, ich müßte mal kurz mit Ihnen sprechen. Ich war ganz geknickt, ich wußte genau, welches Motiv dieses Männlein mit seiner

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