Wer mit Hunden schläft - Roman
Leitenbauer war nämlich auch der Taufpate des Norbert und somit auch verantwortlich für seine seelische Hygiene. Der Leitenbauer war es auch, der dem Norbert seinen Walkjanker geschenkt hatte, zum achten Geburtstag seinerzeit. Vor dem Beichtstuhl musste er auf den Pfarrer warten, zusammen mit dem jungen Leitenbauerbuben. Der ältere durfte schon mit dem Leitenbauer mitgehen. Ins Wirtshaus oder zum Frühschoppen, wie die morgendlichen Besäufnisse hießen, meist im Zuge eines der beliebten Zeltfeste. Der ältere Leitenbauerbub musste den Leitenbauer dann zu Mittag aus dem Wirtshaus oder vom Frühschoppen nach Hause bringen. Das hat immer zwei Stunden so circa gedauert, weil der Zwetschgerne vom Wirt dem Leitenbauer eine Luftwatsche quasi gegeben hat und er somit nicht mehr geradeaus schauen, geschweige denn hat gehen können. Während des Wartens auf den Pfarrer ist der Norbert noch mal im Kopf seine mutmaßlichen Sünden durchgegangen. »Durch das Warten war ich schon ganz ausgekühlt und habe gezittert. Und während der Beichte habe ich nur an die Weinfahne des Pfarrers denken können, die er vom Jesus seinem Blut gekriegt hat. Durch die bienenwabenförmigen Löcher der Trennwand ist der Dunst herübergeströmt, Kreisky, dass meine Stirn ganz feucht geworden ist dadurch. In dem Beichtstuhl war es sogar im Sommer kalt wie in einem Burgkeller. Meine Finger waren schon fast taub deswegen. Trotzdem hat mich der Pfarrer dann noch ein paar Vaterunser und Glaubensbekenntnisse beten lassen. Vorne beim Altar habe ich mich hinknien müssen natürlich. Der junge Leitenbauerbub hat in der Zwischenzeit längst nach Hause gehen dürfen. Wahrscheinlich deshalb, weil bei ihm der Spruch, WER EINMAL LÜGT, DEM GLAUBT MAN NICHT et cetera, wie die Mutter immer gesagt hat, so gut gepasst hat und der Pfarrer deswegen seine Zeit nicht mit dem Anhören der ewig gleichen, uninteressanten Sünden hat verplempern wollen, wirklich wahr, Kreisky«, sagt der Herr Norbert.
Der Norbert verließ die Kirche als Letzter. Um sich aufzuwärmen, ging er ins Wirtshaus hinüber, das nach der Messe immer brechend voll war. Die Pichlberger Männer gingen sonntags nur in die Kirche, um sich danach beim Wirt ordentlich einen ansaufen zu können, ohne sich bei ihren Ehegattinen rechtfertigen zu müssen, die daheim mit dem Schweinsbraten und den Kindern auf sie warteten. Seine schmerzenden Hände hat der Norbert im Wirtshausklo unter das kalte Wasser der Armatur gehalten. Fünf Minuten hat es gedauert, bis er seine Finger wieder halbwegs abbiegen konnte. Ist der junge Leitenbauer nach der Kirche direkt nach Hause gegangen, hat der Norbert immer einen Umweg gemacht. Am Stahlwerk vorbei, in dem am Sonntag manchmal Sonderschichten gefahren wurden. Aus dem Stahlwerk waberten dichte rote Rauchwolken. In und vor der Halle liefen Männer geschäftig herum. Sie trugen blaue, verdreckte Monturen, gelbe, verdreckte Helme und ihre Gesichter waren ebenfalls verdreckt. Der Boden in der Halle war schwarz und schmierig. Ein mannshoher Hammer drosch auf einen rot glühenden Eisenblock ein, der dann mithilfe eines Trennkeils abgehackt wurde, den ein Mann zwischen Hammer und Eisenblock gehalten hatte. Dieser Mann war ein Riese, mit tellergroßen Händen und einem Kopf wie ein Baumstumpf. Der Norbert hatte die Augen geschlossen und atmete den Geruch des Stahlwerks tief ein, bis seine Lungen brannten von den Schwefeldämpfen. Dieser Geruch war ähnlich dem des Traktors vom Leitenbauer. Nur intensiver, roher. Es war der ursprüngliche Geruch des Materials. Der Seelengeruch jeder Maschine, der aus Feuer, Rauch und mechanischer Gewalt besteht. Der Riese hat den Norbert in die Halle mitgenommen, wo es vierzig Grad hatte. Hat ihn hineingesteckt in eine Montur und ihm einen gelben Helm auf seinen Kopf gesetzt. Die Kinderhand des Norbert fest haltend sind sie vor dem Elektroofen gestanden, in den die Elektroden für die Stahlschmelze eingeführt wurden. Der Kranfahrer hat mit einem Greifarm eine Fuhre Schrott in den Ofen hineingeschmissen und der Riese hat dem Norbert ein dunkles Glas vor die Augen gehalten. Dann hat es geblitzt und getuscht, dass die Böllergewehrsalven des Pichlberger Schützenvereins nichts dagegen gewesen sind. Im Moment des Knallens und des Bebens hat der Riese den Norbert an sich gedrückt mit seinen großen Händen. Dieses Gedrücktwerden, obwohl durchaus mit Kraft und Bestimmtheit durchgeführt, ist ein gänzlich anderes Drücken gewesen als jenes, das er vom
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