Wer morgens lacht
zu reduzieren, was für meinen Verstand fassbar ist, es geht mir um die Beziehungen zwischen den Organismen, um parasitäre und symbiotische Beziehungen.
Und dann fällt mir auf, dass die Gesichter meiner Eltern schlaffer werden, meine Mutter kippt ein Löffelchen Zucker in ihren Kaffee und rührt zu lange, sie hört gar nicht mehr auf zu rühren. Ich habe mich offenbar wieder verrannt, denke ich, ich sollte das Thema wechseln, und Marie höhnt, du bist und bleibst eine Klugscheißerin, das habe ich doch schon immer gesagt. Ich zwinge mich zu einem entschuldigenden Lachen und sage möglichst beiläufig, na ja, so spannend ist das vermutlich nur für Biologen. Dann wende ich mich an Ricki, ich würde gern mit dir in die Stadt fahren, um dir ein paar Sehenswürdigkeiten zu zeigen, den Stachus und den Marienplatz und die Frauenkirche, was man Touristen halt so vorführt, nur ein bisschen rumlaufen, hast du Lust?
Ricki nickt, klar, ich war noch nie in München.
Ich halte das für keine gute Idee, sagt meine Mutter, bei diesem Wetter könnt ihr euch wer weiß was holen.
Lass sie doch, sagt mein Vater, sie sind doch keine kleinen Kinder mehr, und als wir unsere Mäntel anhaben und schon an der Haustür stehen, drückt er mir unauffällig einen Schein in die Hand und sagt leise, damit ihr notfalls ein Taxi nehmen könnt, falls es wirklich anfängt zu regnen.
Es verschlägt mir die Sprache, ich kann noch nicht mal Danke sagen, so verblüfft bin ich, mehr als ein Nicken bringe ich nicht zustande. Und erst als wir an der Bushaltestelle stehen, frage ich Ricki, ob sie als Kind mal ein Kaleidoskop gehabt hat.
Sechzehn
Realitäten können sich verändern, Bilder legen sich übereinan der, Silhouetten verschwimmen, manche Konturen werden überdeutlich, andere verblassen, und Farben verändern sich, als würden sie von bunten Scheinwerfern angestrahlt. Oder sie setzen sich ständig zu neuen Mustern und Formen zusammen, wie bei dem Kaleidoskop, das mir die Bodenmais-Oma einmal geschenkt hat. Heute weiß ich natürlich, wie ein Kaleidoskop funktioniert. Es handelt sich um ein Rohr, an dessen einem Ende zwischen zwei Glasplatten kleine, farbige Objekte locker eingelegt sind. Hält man das andere Ende vor das Auge, sieht man symmetrische Muster, die sich in Farbe und Form verändern, wenn man das Rohr dreht. Vielleicht sollte jedes Kind mit einem Kaleidoskop aufwachsen, eine bessere Vorbereitung auf das Leben gibt es nicht. Nur ein bisschen drehen …
Wir kommen pünktlich zurück. Der Duft nach Hasenbraten empfängt uns bereits an der Haustür und im Wohnzimmer ist der neue Tisch gedeckt, mein Vater macht gerade eine Flasche Rotwein auf. Ricki hebt den Kopf und schnuppert wie ein Cockerspaniel, das riecht ja großartig, sagt sie und geht in die Küche, um, nicht nur aus Höflichkeit, meiner Mutter ihre Hilfe anzubieten.
Das Essen verläuft fröhlicher, als es hier je verlaufen ist, Ricki lobt den Hasenbraten, und meine Mutter sagt, was ist es doch für ein Vergnügen, für jemanden zu kochen, der gern isst, Sie brauchen meine Tochter ja nur anzuschauen, Ricarda, da wissen Sie, was ich meine.
Ricki lacht und sagt, ich habe schon immer gern gegessen und leider sieht man mir das auch an, von nichts kommt eben nichts.
Meine Mutter hat immer gesagt, der Wind bläst rote Backen, aber keine dicken Ärsche, sagt mein Vater, und meine Mutter wirft ihm einen erschrockenen Blick zu, aber als sie sieht, dass Ricki lacht, lacht sie auch.
Wie unbefangen sie ist, denke ich, unbefangen und schön, mit ihr scheint alles leichter und heiterer zu werden, es kann nicht nur an dem neuen Tisch und den weißen Wänden liegen, dass nichts mehr von den alten Spannungen zu spüren ist. Und als plötzlich Marie auftaucht und vorwurfsvoll sagt, reicht es dir denn nicht, dich in mein Leben einzumischen, musst du jetzt auch noch eine Fremde mitbringen, die das alles nichts angeht?, fällt es mir nicht schwer, sie mit einer unauffälligen Handbewegung zum Schweigen zu bringen.
Danach sitzen wir zusammen, Ricki und ich auf dem Sofa, meine Eltern in den Sesseln, und ich fühle mich zunehmend entspannter, umso mehr, als mein Vater offenbar gar nicht auf die Idee kommt, die Whiskeyflasche aus dem Schrank zu holen. Der Rotwein lockert die Zungen, aber vielleicht ist es auch Rickis notorische Empathie, der sich meine Eltern ebenso wenig entziehen können wie ich, sogar mein Vater macht manchmal den Mund auf.
Ricki betrachtet das Bild, das meine Mutter vor
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