Wer nach den Sternen greift
Denver weiter und von dort nach Leadville, das sich rühmte, die am höchsten gelegene Stadt in den Vereinigten Staaten zu sein. Dort kaufte Frank eine Spitzhacke und andere Werkzeuge, die er brauchte, außerdem ein Pferd und zwei Maulesel. Annie kaufte Mehl, Zucker, Kartoffeln und Töpfe und Pfannen und was sonst noch so auf der Liste stand, die sie in den letzten Monaten erstellt hatte. Sie kaufte sich auch ein Paar Stiefel. Zum Schluss besorgten sie sich noch zwei Zelte, eines, um darin zu schlafen, und eines, das Annie als Küche dienen sollte, und dann machten sie sich mit einer Gruppe von Männern auf den Weg zum Golden-Horn-Schürf-Camp, das erst vor einer Woche errichtet worden war.
Fünf Tage waren sie unterwegs, und Annie ritt ab und zu auf dem Pferd. In den Bergen war es noch kalt, und nachts drängten sich Annie und Frank eng aneinander, auf der Suche sowohl nach Wärme als auch nach Liebe.
Niemals in ihrem ganzen Leben fühlte Annie sich so willkommen wie in dem Goldgräber-Camp. Und niemals wieder in ihrem Leben musste sie so hart arbeiten wie in jenem Sommer, den sie in den Rocky Mountains verbrachten. Sechzig Männer wurden jeden Morgen von dem Duft nach frisch gebackenem Brot, gebratenem Speck und Kaffee geweckt.
Wenn sie dann mit schmerzendem Rücken von der harten Arbeit des Tages ins Lager zurückkamen, erwartete sie ein Essen, das sie noch nicht einmal bei ihren Müttern bekommen hatten. Da sie ihre Gewehre immer mitnahmen, brachten sie jeden Tag Kaninchen, wilden Truthahn oder ab und zu sogar mal ein Reh an, und sie schauten staunend zu, wenn Annie die Tiere häutete und zerlegte. Die Frauen, die sie kannten, hätten sich vor so viel Blut geekelt. Annie jedoch nicht.
Frank bewunderte an ihr am meisten, dass sie sich nie beklagte. Den ganzen Sommer über hörte er von ihr nicht ein böses Wort. Auch wenn ihr Gesicht hochrot von der Hitze des Ofens war und ihr der Schweiß von der Stirn in die Augen tropfte, weil sie fünfzig oder sechzig Männern das Essen serviert hatte, wusste er, dass alle ihn um sie beneideten, zumal sie nicht nur die schönste, sondern auch die einzige Frau im Camp war. Viele Gelegenheiten, um miteinander zu reden, hatten sie nicht, denn wenn sie abends todmüde ins Bett fielen, schlief sie meistens schon, noch bevor er ihr einen Gutnachtkuss geben konnte, und wenn er morgens aufwachte, hörte er sie bereits mit den Töpfen klappern. Er roch den Duft nach frischem Kaffee, blieb noch ein Weilchen liegen und dachte, dass er doch der glücklichste Mann auf der Welt sei. Er war jetzt schon reicher als manch ein Mann, der Gold gefunden hatte.
Männern, die mit ihr flirten wollten, begegnete sie mit einer schlagfertigen Bemerkung und einem Lachen, und wenn jemand die Suche nach Gold aufgeben wollte, sprach sie ihm Mut zu. Die Männer vergötterten sie und hätten wahrscheinlich ihr Leben für sie gegeben, wenn es nötig gewesen wäre. Frank platzte beinahe vor Stolz, weil sie seine Frau war. Annie war nicht wie andere Frauen, und dafür war er unendlich dankbar.
Nachmittags, wenn niemand im Lager war, wusch sie ihre Kleider in dem eisigen Bach, der in der Nähe vorbeifloss, und anschließend sprang sie selbst hinein. Zitternd vor Kälte tauchte sie unter, und wenn dann Gänsehaut ihren ganzen Körper bedeckte, sah sie durch die Bäume zum Himmel hinauf und lachte.
Sonntags gab es nur Mittagessen. Sie bestand darauf, dass die Männer ihre Kleider und sich selbst im Bach wuschen, weil sie nicht von stinkenden Männern umgeben sein wollte. Zwar hätten die Männer von sich aus wahrscheinlich den ganzen Sommer über keine frische Wäsche angezogen, aber sie gehorchten Annie, um es sich nicht mit ihr zu verscherzen. Im Gegenteil, sie versuchten sogar, sie zum Lachen zu bringen, weil sie ihr tiefes, rauhes Lachen, in das jeder unwillkürlich einstimmen musste, liebten.
Während Frank jeden Tag nach Gold suchte, wurde sie reich, indem sie mitten in der Wildnis kochte. Hungrige Männer bezahlten anständig für Verpflegung, zumal, wenn sie so gut und reichlich war wie bei Annie. Und wenn sie nicht nachts von ihr träumten, dann träumten sie doch zumindest von einer Frau, die so war wie sie: fröhlich und zupackend, eine hervorragende Köchin und eine wundervolle Geliebte.
An den Sonntagen machten Frank und Annie lange Spaziergänge durch die Wälder, hielten sich an den Händen und redeten über ihre Zukunft und ihr gemeinsames Leben. Wenn sie schließlich weit genug von den
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